: Wechseljahre eines Wunderkinds
Momentaufnahmen gesellschaftlicher Obsessionen: Der Regisseur John Waters wechselt Medium und Schauplatz und bleibt dabei doch ganz der Alte. Die Ausstellung „Change of Life“ im Fotomuseum Winterthur präsentiert die fotografischen Arbeiten des Filmemachers zum ersten Mal in Europa
VON THOMAS ABELTSHAUSER
FLOP. Vier große schwarze Buchstaben prangen auf einem kotzgrünen Kissen, zu bewundern in einer Glasvitrine mitten im Raum. „Ich habe mir immer vorgestellt, wie sich das ein Hollywoodproduzent kauft und auf seine Bürocouch legt“, erklärt John Waters grinsend. „Leider ist das nicht passiert.“ Gleich daneben steht eine Puppe von John F. Kennedy. Im Cocktailkleid. Willkommen in der wundersamen Welt des John Waters: Kultfilmer, Trash-Ikone, Bad-Taste-Guru, Showman und seit einigen Jahren auch Visual Artist.
„Change of Life“ hat John Waters die erste Gesamtschau seiner seit den frühen 90ern entstandenen Fotoarbeiten und Skulpturen genannt, die vom New Museum of Contemporary Art in New York kuratiert wurde und nun im Fotomuseum Winterthur erstmals in Europa zu sehen ist. Ein Waters-typischer Titel der Doppeldeutigkeiten: Zum einen geht es um seinen künstlerischen Wandel, weg vom prinzipiell massenkompatiblen Filmemachen hin zur minoritären Fotokunst: „In der Kunstszene ist es fast obszön, wenn man zu populär ist.“ Andererseits bedeutet der Titel im Englischen auch die hormonell bedingten weiblichen Wechseljahre. John Waters, der im April 58 wurde, gefällt sich wie schon zu besten Trash-Zeiten und Filmen wie „Female Trouble“ im Geschmacks- und Tabugrenzen überschreitenden Genderfuck. Zumindest das hat sich nicht geändert.
Waters’ Methode ist denkbar simpel: Er sichtet Filme – seine eigenen, aber auch Klassiker und Schund – auf dem Fernseher und fotografiert einzelne Szenen vom Bildschirm ab. Diese Stills setzt er zu kleinen Fotoserien zusammen, wie etwa eine Reihe von Rückansichten Lana Turners. Sie wurde im streng ökonomischen Hollywoodfilm der 50er beim Verlassen eines Raumes immer einige Sekundenbruchteile länger gezeigt als üblich.
„Damit die Männer ihren Arsch und Frauen ihre fantastische Garderobe bewundern konnten – der ultimative Beweis, dass sie ein echter Star war“, so Waters. Das Werk heißt denn auch bezeichnenderweise „Lana Turner Backwards“, so wie fast alle Titel vielsagende Sehhilfen sind: „Movie Star Jesus“ nennt er seine Sammlung von Kreuzigungsszenen, „Retard“ eine Reihe von Schauspielern in oscarträchtigen Behindertenrollen. Waters eignet sich Bilder der Populärkultur an, verfremdet sie durch den doppelten Medienwechsel vom Film zum Video zum Foto, stellt sie in einen neuen Kontext oder lenkt den Blick auf ein Detail und gibt ihnen so eine andere Bedeutung. Er fotografiert, was er dem Vergessen entreißen will. Seine „Little Movies“ haben so auch immer etwas mit Erinnerungsarbeit zu tun, seiner subjektiven wie auch einer allgemeinen. Waters persönliche Obsessionen und sein schräger Blick auf populärkulturelle Phänomene sind auch immer Ausdruck verdeckter gesellschaftlicher Tabus und Totems.
Das Zentrum der Ausstellung bildet ein obskures Pappkabinett: John Waters’ abfotografiertes und auf Kulissen gezogenes Arbeitszimmer zeugt mit seinen unzähligen Fotos, Büchern, Zeitungsschnipseln, Filmrequisiten und anderen Skurrilitäten von den Obsessionen seines Besitzers. Gleich links vom Eingang etwa steht ein lebensgroßer elektrischer Stuhl – kein echter, wie John Waters versichert, sondern ein Requisit aus seinem Trash-Meisterwerk „Female Trouble“. Daneben ein Portrait von Jackie Kennedy, Plastikratten und eine Pinnwand mit Schnappschüssen von Promis. Dieser Kontextraum stellt die Quelle seines künstlerischen Schaffens dar. Auch die Super-8-Kamera ist hier zu finden, die ihm seine Großmutter schenkte und mit der er bereits zu Highschool-Zeiten seine ersten Kurzfilme drehte.
Sie sind die eigentliche Entdeckung, denn seit ihrer Entstehung in den 60er-Jahren waren diese drei kleinen, schmutzigen Streifen nicht mehr zu sehen. Waters fand sie zu fehlerhaft, dass sie einer Kino- oder DVD-Auswertung standhalten könnten. Im Rahmen dieser Ausstellung stimmte er nun einer Vorführung zu – und will sie als source material verstanden wissen. Zwiespältiges zu entdecken gibt es reichlich: Wenn in „Eat Your Make Up“ etwa die Potheads sich im Wald vor einem Dope-Automaten treffen, an dem man statt Kaugummis oder Kippen eben ein Klebstoff-Schnüffel-Set oder eine kleine Graspfeife ziehen kann, ist das von einem juvenilen Kifferhumor geprägt, den man nicht teilen muss.
Doch immer wieder brechen Bilder hervor, die Waters als Visionär der celebrity culture unserer Tage auszeichnen. Im gleichen Film werden junge Frauen von einer Gruppe Freaks entführt und nach einem extreme make-over auf den Laufsteg geschickt, wo sie sich zu Tode modeln müssen. Zwischendurch bekommen sie als kleine Stärkung einen Teller mit Make-up vorgesetzt, das sie gierig verspeisen. Hier spürt man den Einfluss des Exploitationkinos mit seinen überdeutlichen Zeichnungen, wo nichts ungezeigt bleibt, jede Neurose nach außen gekehrt und ausgespielt wird. Das ist aber zugleich von einem überbordenden Ideenreichtum, dem so manchem Komödienregisseur in Hollywood für eine ganze Hand voll Filme genügt hätte. Allein diese Filmraritäten lohnen den Weg nach Winterthur.
Die Liebe zum Detail zeigt sich nicht zuletzt an den Schildern neben den Exponaten: Dort ist neben den üblichen Titelangaben der jeweilige Besitzer der Leihgabe verzeichnet. Die in Vierer- bzw. Achterserien erschienenen Werke wurden dabei fast durchgängig von Celebrities erworben: So ist das in Winterthur ausgestellte „Movie Star Junkie“, eine Serie von Szenen mit Drogennadeleinstichen, Eigentum von Johnny Depp; andere Werke gehören Ben Stiller, Jim Jarmusch oder Steve Buscemi.
Das dürfte die pikanteste Pointe und der wirkliche Wechsel sein: Mittlerweile zeugt es in Hollywood von gutem Geschmack, einen Waters zu Hause hängen zu haben.
„Change of Life“. In Winthertur bis 22. August. Katalog 59 SFR. Am 10. Juli findet eine John-Waters-Filmnacht statt. Mehr unter www.fotomuseum.ch