nebensachen aus madrid : Wenn es den Kühen in Madrid ans Fell geht
Kuh zu sein in Madrid ist nicht leicht. Selbst dann, wenn man der berühmten Cow Parade angehört. Ob Berlin oder Bern, New York oder Sidney – der Empfang war immer herzlich. Die Menschen ließen sich gern mit den fantasievoll verzierten Fiberglaskühen ablichten. Kunst ist in. Nicht so in Madrid.
Kaum waren die Kühe – ursprünglich eine Initiative der Stadt Zürich – aufgestellt, machten sich die Madrider Nachtschwärmer in Horden über sie her. Die Kunstwerke wurden beschmiert, mit Knüppeln bearbeitet, umgestürzt. Einer als Ikarus verkleideten Kuh wurde ein Flügel abgebrochen, eine andere wurde gar gestohlen. Nirgends in den rund 60 Städten weltweit, in denen die Cow Parade bisher ihren Auftritt hatte, ging es den bunten Wiederkäuern so schlecht wie jetzt in der spanischen Hauptstadt. Die eigens eingerichtete Kuhklinik kommt mit dem Reparieren nicht nach. „Zu Hause lieber Junge, auf der Straße zerstöre ich Kühe“, konstatiert Spaniens größte Tageszeitung, El País, entsetzt.
Madrid ist keine Ausnahme. Überall in Spanien gehen Nachtleben und Vandalismus einher. So wird in Oviedo einer Statue zu Ehren von Woody Allen regelmäßig die Brille abgebrochen. In Sevilla kommen die Gemeindearbeiter nicht nach, wenn es darum geht, eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt, die mit andalusischen Kacheln verzierte Plaza de España, zu restaurieren. Jedes Wochenende werden die Ornamente zerdeppert – mit leeren Bierflaschen.
War Spanien bis 1975 eines der autoritärsten Länder Westeuropas, gehen seit dem Ende der Diktatur zusehends die sozialen Normen verloren. Nirgends ist die Gesellschaft so tolerant, auch wenn elementarste Regeln des Zusammenlebens missachtet werden. Ob Drogenkonsum in aller Öffentlichkeit, Massenbesäufnisse oder Vandalismus – die meisten Eltern nehmen ihre Sprösslinge in Schutz, wenn dieses Verhalten kritisiert wird.
Die Schulabbrecherquote liegt bei 30 Prozent. Die Lehrergewerkschaften beklagen sich immer wieder über Gewalt an Schulen. Nicht etwa nur seitens der Schüler, sondern auch der Eltern, die erzürnt vorstellig werden, wenn ein Lehrer es wagte, erzieherisch einzugreifen. Nicht wenige Lehrer mussten dafür Schläge von den Eltern einstecken. Wen wundert es da, dass die Jugendlichen die Familie ganz oben auf der Liste haben, wenn sie gefragt werden, was sie am meisten schätzen.
Immer wieder sorgte das spanische Laisser-faire für internationale Zwischenfälle. Die Botschaften müssen Jugendliche aus dem Polizeigewahrsam holen, weil sie im Urlaub in aller Öffentlichkeit ihren Joint bauten oder Koks konsumierten. „Nicht überall ist dies einfach so möglich“, warnt das Außenministerium jedes Jahr zu den Sommerferien. Vergebens.
Vor wenigen Monaten wurden in Riga zwei Spanier verhaftet, als sie eine lettische Fahne vom Mast holten. Nach 19 Tagen Haft wurden sie gegen Kaution freigelassen. Zu Hause hatten Eltern, Presse und Politik eine Kampagne gegen die lettischen Behörden gestartet. Sie entschuldigten das Verhalten der Verhafteten als „einen harmlosen Bubenstreich“. Die Buben waren knapp 30 Jahre, ausgebildete Ingenieure und wohnten bei Mama.
Den spanischen Jugendlichen eilt ihr Ruf längst voraus. So berichtet El País von einem Schild in der Jugendherberge in Amsterdam. „Bitte respektiere die Gemeinschaftsräume“ steht dort zu lesen. Nicht auf Holländisch und auch nicht auf Englisch – nur in der Sprache von Cervantes.
REINER WANDLER