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Archiv-Artikel

DER SUPREME COURT BELEHRT BUSH ÜBER DIE PRINZIPIEN DES RECHTSSTAATS Erschüttertes Vertrauen

Die drei Urteile des Obersten Gerichtshofes der USA sind ein Meilenstein der US-Rechtsgeschichte nach dem 11. September – und doch nur ein Anfang. In der Praxis bleibt zunächst offen, welchen Nutzen die Gefangenen, seien sie nun US-Bürger oder Ausländer, sitzen sie nun in Guantánamo, in US-Gefängnissen oder in anderen Gefangenenlagern ein, tatsächlich aus den Urteilen des Supreme Court ziehen können.

Sicher ist allerdings, dass sich mit den Urteilen die Judikative gegenüber der Exekutive lautstark zurückgemeldet hat. Es sind die ersten Entscheidungen seit der Übertragung weitreichender Vollmachten an den Präsidenten, die überhaupt festhalten, dass es Grenzen für dessen Machtbefugnisse im so genannten „Krieg gegen den Terror“ gibt. Und sieht man von Richterin Clarence Thomas ab, der einzigen, die uneingeschränkt die Position der Bush-Regierung vertritt, waren sich konservative und liberale Richter zumindest im Tenor einig: Auch in Ausnahmesituationen bleibt es ein Wesensmerkmal einer rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft, dass die Entscheidungen der Exekutive einer unabhängigen Überprüfung unterzogen oder zumindest vor einer unabhängigen juristischen Instanz angehört werden müssen. Oder, wie die Washington Post kommentierte: „Auch wenn sich die Richter nicht darüber einigen konnten, wie weit der Präsident gehen darf, machten sie klar, dass er bereits zu weit gegangen ist.“

Das ist noch weit davon entfernt, den unter Terrorismus-Vorwürfen als „feindliche Kämpfer“ Verhafteten tatsächlich volle Bürgerrechte einzuräumen, sei es nach der Strafprozessordnung der USA, sei es nach den einschlägigen internationalen Konventionen. Aber ein Anfang ist gemacht. Die Richter selbst gaben zu, dass die Foltervorfälle in Abu Ghraib das Vertrauen in das korrekte Verhalten der Exekutive erschüttert hätten. Dieses Vertrauen hatte die Regierung seit dem 11. September eingefordert – und hat es verspielt. Das ist, nicht einmal unterschwellig, die Botschaft der Urteile des Obersten Gerichtshofes, ungeachtet ihrer unmittelbaren praktischen Auswirkung. Und das ist bedeutsamer, als es einer um die Wiederwahl kämpfenden Regierung lieb sein kann. BERND PICKERT