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Archiv-Artikel

Potter hin, Mankell her

In diesen Tagen schließt die Buchhandlung am Brecht-Haus. Damit zeigt sich wieder einmal, dass Bücher in Berlin, in einer Stadt, in der das Bürgertum ausstirbt, nicht mehr zum Livestyle gehören

Warum soll man Bücher verkaufen, wenn man dabei nichts mehr verdient?

von JÖRG SUNDERMEIER

Das Literaturforum im Brecht-Haus ist auch außerhalb Berlins für sein gutes, dem Erbe Brechts verpflichtetes Programm bekannt. Das Archiv im Haus ist ebenso eine touristische Attraktion. Auf der Website heißt es: „Ein Kellerrestaurant, dessen Spezialität die Lieblingsgerichte der Wienerin Helene Weigel sind, und eine gut sortierte Buchhandlung runden das Ensemble dieses Hauses ab.“ Nun wird das Ensemble unrund. Denn die Buchhandlung am Brecht-Haus schließt in wenigen Tagen.

Zu DDR-Zeiten war sie eine staatliche Buchhandlung, in der man viele Brecht-Raritäten finden konnte, nach dem Mauerfall übernahmen dann die Buchhändlerinnen Karin Dassler und Bärbel Henning mit viel Enthusiasmus das Geschäft.

Durch die Brecht-Buchhandlung konnte man in den Veranstaltungssaal des Brecht-Hauses gehen, konnte die dort regelmäßig stattfindenden Ausstelllungen auch unabhängig von Veranstaltungen besuchen, man bekam Auskünfte zum Brecht-Archiv – in gewisser Weise war diese Buchhandlung stets eine Art inoffizieller Rezeption des Literaturforums. Zudem und vor allem aber eine bestens geführte Buchhandlung, die sich gleichfalls Brecht verschrieben hatte und neben dem normalen Sortiment eine Unzahl von Theaterbüchern vorrätig hielt. Geht man nun in die Räume des Ladens, so ist es trist, der Warenbestand ist reduziert, die Reste und nicht remittierbaren Bücher werden nun äußerst verbilligt verkauft.

Es finden sich noch eine Menge Titel aus der DDR, die inzwischen schon antiquarischen Wert haben. Im Hintergrund wird das Lager aufgelöst. Doch es ist nicht das schlechte Geschäft, das zum Ende dieser Buchhandlung führte, erzählt Bärbel Henning. Vielmehr ist das bis dato senatseigene Haus vor einiger Zeit verkauft worden, und der neue Eigentümer hat jetzt seine Mietvorstellungen eröffnet. Demnach wäre im nächsten Jahr eine weitaus höhere Miete fällig gewesen, „in fünf Jahren hätte sie sich sogar verdreifacht“, so Henning. Eine neue Buchhandlung an einem anderen, preisgünstigeren Standort jedoch wollen die beiden nicht eröffnen – zum einen, weil der Bezug zu Brecht fehle, der auch die in der Nähe residierenden Theaterhäuser zu ihren Kundinnen gemacht hat, zum andern meint Henning: „Sie wissen doch, wie’s im Buchhandel aussieht, warum soll ich Bücher verkaufen, wenn ich dabei nichts mehr verdiene? Da lese ich sie lieber selbst.“

Mit der Buchhandlung am Brecht-Haus schließt eine weitere Qualitätsbuchhandlung in Mitte, Juliettes Literatursalon ist bereits seit einigen Wochen geschlossen. Auch in Kreuzberg, im 61er-Kiez, schließt eine Buchhandlung, Chronika am Marheinekeplatz.

Damit sind in den letzten anderthalb Jahren in 61 drei Buchhandlungen verschwunden, neben Chronika der traditionsreiche Laden Krakehler und die Buchhandlung Ringelnatz. Und alle kleineren und mittleren Buchhandlungen Berlins können klagen, Harry Potter hin, Henning Mankell her. Neugründungen gibt es kaum.

Mieterhöhungen oder Misswirtschaft sind durchaus auch Gründe dafür, dass Buchhandlungen in Berlin schließen müssen, doch die derart hohe Zahl von Pleiten beweist vor allem, dass den Buchhandlungen die Käuferinnen und Käufer wegbleiben. Das hat verschiedene Gründe – zum einen gehen inzwischen relativ viele potenzielle Kundinnen von Qualitätsbuchhandlungen dazu über, in die schlecht sortierten Shopping-Mal-Buchhandlungen einzukehren, man nimmt sich sein „Generation Golf 2“ oder ihr Gartenbuch eben rasch beim Einkauf mit, andere bevorzugen Ramschtitel, die es in Berlin an beinahe jeder Ecke gibt, und empfinden daher nun viele Bücher als „zu teuer“.

Vor allem aber gibt es in Berlin kein Bürgertum mehr, das Westberliner Bürgertum war größtenteils schon vor dem Mauerfall ausgewandert, die Ostintelligenzija sah sich plötzlich von Arbeitslosigkeit bedroht. Bei Lehrern oder Beamtinnen aber gehört der Buchkauf schon längst nicht mehr zu dem, was sich gehört und was man sich leisten muss. Das zeigt sich schon daran, dass kaum jemand gegen die schleichende Abschaffung der öffentlichen Stadtbibliotheken protestiert.

Das Buch ist in Berlin nicht mehr ein wichtiges Lebensmittel, als Livestyle-Objekt hat es schon längst ausgedient. Insofern müssen wir uns nicht wundern, wenn die gut sortierten Buchhandlungen verschwinden oder aber ihr bisheriges Sortiment zugunsten von Bestsellern abbauen. Neben das „Wir schließen“-Schild im Schaufenster der Buchhandlung am Brecht-Haus haben die Buchhändlerinnen ein Werbeplakat gehängt: „Die Zeit ist nicht mehr zum Lachen, und Grosz hat auch keine Lust darauf“, steht dort zu lesen.