: Übersprungene Zukunft
Wie aus einem Schluffi ein gefeierter Debütautor wird, der Ruhm, Geld und Prinzessinnen gewinnt, aber dem Glück verzweifelt hinterherläuft: Der polnische Autor Radek Knapp hat mit seinem Roman „Papiertiger“ eine Art Anti-Erfolgsparabel geschrieben
von GISA FUNCK
Radek Knapp hat eine Schwäche für junge Männer mit einem Lausbubenblick und einem Kinderglauben ans Glück. Schon Waldemar, der polnische Aushilfsarbeiter und Hauptheld seines viel gerühmten Debütromans „Herrn Kukas Empfehlungen“, ließ sich nicht durch die Ausländerfeindlichkeit seiner Wahlheimat Wien beirren, sondern stapfte munter drauflos und entging nicht zuletzt dank seiner Unbescholtenheit dem gröbsten Schlamassel.
Walerian Gugania, dessen Geschichte in „Papiertiger“ erzählt wird, glaubt ebenfalls an eine „Berufung“. Nur lässt die dummerweise schon länger auf sich warten. Mit fast 30 Jahren hat er weder einen festen Beruf noch eine feste Freundin. Walerian ist ein Schlendrian, der zwischen Gelegenheitsjobs hin und her pendelt, sich mal als „Wärter eines Paviangeheges“ verdingt, mal als Krankenpfleger – und den Dingen ansonsten gern ihren Lauf lässt anstatt sie allzu hartnäckig zu hinterfragen. Ein Studium der Astronomie hat er abgebrochen, weil er „nicht noch ein Student sein (wollte), der nachts in den Himmel schauen muss, um sich zu erinnern, wie ein Stern aussieht“. Eine Stelle als Genetiker schlägt er aus, weil er kein „Medikament gegen das Altern“ erforschen möchte, wenn der Mensch seiner Ansicht nach doch gerade „unter der Last der Vergänglichkeit aufblüht“. Und mit seinem Jugendfreund Bruno ist er zerstritten, da dieser „dem Ruf des Geldes“ folgte.
Ähnlich wie Waldemar gleicht auch Walerian zunächst einem modernen Hans im Glück, der schon allein deshalb an das Gute glaubt, weil er sich das Schlechte nicht vorstellen mag – bis schließlich das erhoffte Wunder eintritt. Walerian bekommt zuerst eine Stelle als Weihnachtsengel und dann einen folgenschweren Anruf von einem Frankfurter Verleger. Regelrecht „aus dem Nichts“ wird aus dem Schluffi ein gefeierter Debütautor, dessen Buch wohl nicht zufällig denselben Titel wie Knapps Roman trägt: „Papiertiger“. Der Literaturbetrieb ist „bezaubert“, was durchaus ein schweres Los sein kann – zumindest, wenn man wie Walerian nicht mehr als „ein paar komische Jobs und Vorstellungsgespräche“ in petto hat. Der Kniff von Knapps lakonischer Parabel besteht gewissermaßen darin, dass der Held hier zwar Ruhm, Geld und Prinzessinnen gewinnt, aber trotzdem unglücklich wird. Es ist eine Art Anti-Erfolgsparabel frei nach dem Motto, wonach es immer zwei Arten von Unglück gibt: Entweder ein Herzenstraum bleibt unerfüllt – oder er erfüllt sich, inklusive all jener Entzauberungen, die sich zwangsläufig einstellen, sobald eine Seifenblase auf dem Boden der Realität landet. So wie bei Walerian. Auf übertriebene Komplimente folgen zweischneidige Angebote. Und sein Verleger entpuppt sich als „Chef wie jeder andere“, der seinem desillusionierten Schützling vom Selbstmord abrät, weil das „fast keiner mitkriegt“.
Wie viel miefige Abgeklärtheit hinter der glitzernden Fassade eines Über-Nacht-Erfolges stecken kann, hat Knapp gut beobachtet und lakonisch beschrieben. Doch ist die Erkenntnis seiner „Geschichte in fünf Episoden“, wonach das Schriftstellerdasein längst zum schnöden Alltagsgeschäft geschrumpft ist, natürlich nicht besonders überraschend. Sein spätpubertärer Träumer Walerian verharrt wie gelähmt angesichts einer Ernüchterung, die zum Erwachsenwerden notwendig dazugehört. Dass ihm darauf keine bessere Antwort einfällt, als sich zurück in die Jugenderinnerungen mit seinem Freund Bruno zu flüchten, bleibt für den Leser unbefriedigend. Denn dass in der Jugend „die Zukunft so einfach (zu) überspringen (ist) wie ein Pferd ein Hindernis“, wie es sich Walerian im Rückblick ausmalt, wirkt nur wie eine erneute Illusion, die irgendwann wieder platzen wird. Genauso wie zuvor seine Wunschvorstellung, dass eine Schriftstellerkarriere automatisch großes Glück bedeutet.
Radek Knapp: „Papiertiger. Eine Geschichte in fünf Episoden“. Piper Verlag, München 2003, 152 S., 14,90 €