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Archiv-Artikel

Gruppenreise zu den Industrieruinen des Mobilfunkzeitalters

Ein neuer Zielort im Atlas der Clubkultur: Mit ihrem Koneisto-Festival für elektronische Musik möchte die finnische Hauptstadt Helsinki den internationalen DJ-Jet-Set locken

Namen wie Erlend Oye, Miss Kittin und Luomo gaben dem Festival seinen Glanz

Scheinbar ständig glänzen sie vor Feuchtigkeit – selbst in diesen Julitagen, wo die Stadt unter dem Hitzerekord von 33 Grad Celsius stöhnt. Überall tauchen sie auf in Helsinki, der finnischen Hauptstadt ganz im Süden des Landes: diese Riesen von Gletschergeröll, aus schwarzem und braunem Granit. Schon vor der Küste ragt ein Stein neben dem anderen aus den Wogen empor. Genutzt werden sie als Liegefläche zum Sonnenbaden. Auch werden die Granitsteine mit Ausflugszielen wie Saunen und Gourmetrestaurants bebaut.

So unvermittelt, wie man mitten in der Innenstadt vor einem dieser Steine stehen kann, so taucht auch der Zirkel des internationalen DJ- und Produzententums in immer neuen Städten auf. Miss Kittin, Luomo und Erlend Oye zählen dazu. Sie haben sich in den vergangenen ein, zwei Jahren in Berlin angesiedelt, denn dort geht was in der Club- und Labellandschaft. Die extrem günstigen Mieten tun ihr Übriges, und so zieht man gerne an die Spree. Von dort aus wird dann ab und zu das Sonar-Festival in Barcelona oder das Musikfest in Detroit angesteuert und mit Grüß und Tschüss zelebriert. Mit dem Koneisto Festival For Electronic Music and Arts möchte nun auch Helsinki einen solchen Zielort im Atlas der Clubkultur etablieren.

Zunächst im kleineren Turku konzipiert, wurde Koneisto (Maschine) vor einem Jahr nach Helsinki geholt, ein gutes Argument waren öffentliche Subventionen. Die Symbolträchtigkeit des Geländes, auf dem Koneisto in diesem Jahr zum zweiten Mal ausgetragen wurde, ist augenfällig: Es ist die ehemalige Kabelfabrik von Nokia direkt am Meer. Der Handy-Konzern ist mittlerweile ein paar Meter weiter die Straße hinunter gezogen, in ein Ansiedlungsprojekt für die Wissens- und IT-Branche.

Die Botschaft ist klar: Analoge Fernmeldetechnik ist ein alter Hut, hier wird die Dienstleistungsbranche gefördert. Auch das Koneisto-Festival kann dabei helfen, wenn Helsinki zur Marke unter den Städten entwickelt werden soll. Allein schon die Gestaltung der Koneisto-Website (www.koneisto.com) ist ein grafisches Kunstwerk, das sich über alle Designmoden von der neuen Niedlichkeit bis hin zum 80er-Jahre-Zitat gekonnt lustig macht und ein noch nie gesehenes Festival verspricht.

Allerdings wurde im Verlauf von Koneisto 2003 deutlich, dass sich der Arts-Anteil des Festivals bereits im Design der Agentur Syrup aus Helsinki erschöpft, sieht man einmal von einer röhrenden Playstation-Hölle ab. Stattdessen waren aber die Sicherheitskräfte für unterhaltsame Performances gut. So gab es selbst noch in den V.I.P.- Bereichen Wimpel-umsäumte Zonen, in die man verwiesen wurde, wenn man ein bestimmtes Bier trinken wollte – die Sponsoren-Claims waren unkonventionell eng abgesteckt.

Von der Trinkzone einer finnischen Brauerei hatte man dafür einen exzellenten Einblick in das Rundzelt, in dem Erlend Oye mit seinem Magnificent Singing DJ Set die Mädchen in Ohnmacht fallen ließ. Zu Disco-Classics und House-Hits improvisierte der Norweger seine Liebesbeweise und sorgte für eine gelungene Stunde.

Miss Kittin durfte ihre Liebesbekundungen in der großen Kabelhalle einsammeln: ein Neo-Großraum-Raveset spielte sie, getragen von Elektro, Ballerbeats, Gesangseinlagen und sehr smarten, Zeit und Rhythmus ständig umschichtenden Übergängen. Luomo schließlich mag sein Herkunftsland nicht besonders: Zum ersten Mal spielte er überhaupt in Finnland. Dennoch blieb sein Auftritt, der im Vorfeld zu einer Heimkehrergeschichte aufgeblasen wurde, von der Aufmerksamkeit des Publikums eher nachrangig beachtet.

Ausverkauft war das Festival nicht, und auch die Veranstalter müssen sich wohl erst noch an die internationalen Dimensionen gewöhnen. Doch Helsinki ist neben einer Dienstleistungsstadt auch eine Designmetropole, was das Publikum für elektronische Musik in die Stadt zu locken vermag. Auch die Staatsgelder werden helfen, das Festival bekannter zu machen. Und so dürfte der internationale DJ-Jet-Set demnächst öfter mal im Norden Station machen und dort sein Programm durchziehen: Set spielen, schwitzen, irgendeinen Granitfelsen zum Ausruhen suchen. Nur eine neue Dauerniederlassung, das wird Helsinki auf lange Zeit wohl nicht: Verglichen mit Berlin sind die Mieten hier etwa dreimal so hoch.

CHRISTOPH BRAUN FEHMI BAUMBACH