Sieg für Hun Sen in Kambodscha

Nach den Parlamentswahlen braucht der Ministerpräsident eine Zweidrittelmehrheit, um alleine regieren zu können. Doch das ist fraglich. Die Koalitionsverhandlungen dürften schwierig werden. Der Oppositionsführer spricht von Wahlbetrug

aus Phnom Penh NICOLA GLASS

„Ich habe schon gewählt!“ Stolz hält Tuk-Tuk-Fahrer Sok Vandy den schwarz gefärbten Zeigefinger seiner rechten Hand hoch. Für jeden ist so erkennbar, dass sich der Mittfünfziger bereits zu den Wahlurnen aufgemacht hat. Auf die Frage, für welche Partei er sich denn entschieden habe, reagiert er fast entrüstet: „Das ist doch geheim!“ Schon in den Morgenstunden hatten die Menschen an diesem relativ friedlichen Sonntag vor den Wahllokalen Schlange gestanden. Vor dem Hauptquartier der royalistischen Funcinpec-Partei war zwar eine Granate explodiert, die jedoch nur eine Wand des Gebäudes beschädigt hatte. Zwei weitere Sprengkörper, die mittags vor dem Königspalast gefunden wurden, konnten rechtzeitig entschärft werden.

Laut Nationaler Wahlkommission sind bei Kampagnen und politischen Zusammenstößen in den letzten Monaten rund siebzehn Menschen umgekommen – weitaus weniger als bei den gewalttätigen Ausschreitungen anlässlich der letzten Parlamentswahlen 1998. Regierungschef Hun Sen hatte die Bevölkerung dazu aufgerufen, während der Auszählungen Ruhe zu bewahren. Dass die Gewalt auch am Wahltag selbst rapide nachgelassen hat, ist für Experten ein ziemlicher Fortschritt. „Glücklicherweise gehen die Wahlen, von einigen Zwischenfällen abgesehen, gut voran“, sagt Patrick Mosolf, Wahlbeobachter aus den USA. Während der Wahlen sei alles kein Problem, weiß Jean Marc Khao aus Erfahrung, Inhaber eines kleinen Restaurants. „Doch wenn es zur Auszählung kommt und die eine oder andere Partei das Wahlergebnis anzweifelt, könnte es gefährlich werden.“

Insgesamt waren rund 6,3 Millionen Menschen dazu aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Nach einer Wahlbeteiligung von mehr als 80 Prozent zeichnete sich bereits gestern ein klarer Trend ab: Die Kambodschanische Volkspartei (CPP) des amtierenden Premiers Hun Sen lag gestern nach Informationen des staatlichen Fernsehsenders TVK in allen Provinzen an erster Stelle. Nach Experteninformationen vereinigte die Regierungspartei rund 55 Prozent der Stimmen auf sich. Zulegen konnte die oppositionelle Sam-Rainsy-Partei (21 Prozent), die vor allem in der Hauptstadt Phnom Penh mit mehr als der Hälfte der 12 dortigen Sitze die Nase vorn hatte. Rainsys Forderung nach einem politischen Wechsel und einer Regierung, die sich mehr um die Belange der Kambodschaner kümmern sollte, hatte vor allem junge Wähler angesprochen. Nach Ansicht von Beobachtern hat die Rainsy-Partei Stimmen aus dem Lager des bisherigen Koalitionspartners Funcinpec für sich gewinnen können. Die Royalisten unter Prinz Norodom Ranariddh hätten es versäumt, politisches Profil zu zeigen, und rangierten bei den gestrigen Auszählungen bei lediglich 24 Prozent der Stimmen – fast 8 Prozentpunkte weniger als 1998.

Alleine kann Hun Sen nur regieren, wenn seine Partei die erforderliche Zweidrittelmehrheit aller 123 Sitze gewinnt. Das aber ist unwahrscheinlich. Mit der Funcinpec hat sich die CPP heillos zerstritten. Und ob Sam Rainsy eine Allianz mit seinem politischen Erzrivalen Hun Sen eingeht, dürfte ebenso fraglich sein. Schließlich war es Rainsy selbst, der in den letzten Tagen Unregelmäßigkeiten, Stimmenkauf und massive Einschüchterungen seitens der CPP anprangerte. Der Oppositionsführer sprach gestern im Rundfunk von Wahlbetrug und wollte das Ergebnis nicht anerkennen. Das arme und von der Schreckensherrschaft Pol Pots in den 70er-Jahren traumatisierte Land beschreitet den demokratischen Weg in mühsamen Schritten.

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