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Archiv-Artikel

„Der Leitzins ist reine Psychologie“

Helmut Creutz, Mitbegründer der Grünen, Wirtschaftsanalytiker und Autor des Buches „Das Geldsyndrom“, erklärt, warum die Banken die sinkenden Zinsen der Zentralbank (EZB) nicht an ihre Kunden weitergeben. Jedenfalls nicht aus reiner Raffgier

Interview KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Creutz, den Banken wird vorgeworfen, sie gäben die Zinssenkungen der Zentralbank nicht weiter. Müssten sie das überhaupt?

Nein – denn der Leitzins der EZB und die Zinsen der Banken haben nichts miteinander zu tun. Die Leitzinsen gelten für den Geldmarkt, wo Zentralbanken und Geschäftsbanken handeln. Und die Spar- und Kreditzinsen der Banken betreffen den Kreditmarkt. Dort handeln die Banken mit ihren Kunden.

Wie wird die Höhe der Spar- und Kreditzinsen denn dann bestimmt?

Durch drei verschiedene Interessen: Das der Sparer, die hohe Zinsen wollen. Das der Kreditnehmer, die niedrige Zinsen wollen, und das der Banken, die eine ausreichende Marge zwischen diesen beiden Zinshöhen wollen.

Warum empfehlen Experten dann, dass die EZB die Zinsen senken soll, um die Konjunktur anzukurbeln?

Das hat mit Hoffnung zu tun. Das ist reine Psychologie. Eine Senkung der Leitzinsen ist ein Signal – mehr nicht.

Aber die amerikanische Zentralbank hat ihren Leitzins seit 2001 um mehr als 5 Prozentpunkte gesenkt und so angeblich einen schlimmeren Konjunktureinbruch verhindert.

Angeblich! Wie gesagt: Manchmal wirkt die Zinssenkung als Symbol. Wir hatten schon Jahre, 1992/93 zum Beispiel, da hat die Bundesbank die Leitzinsen erhöht und die Kapitalmarktzinsen sind gesunken.

Trotzdem: Wenn es für die Banken billiger wird, sich bei der Zentralbank Geld zu leihen, können sie diese Ersparnisse an die Kunden weitergeben.

Das tun sie ja normalerweise auch im Zuge des Konkurrenzkampfs zwischen den Banken. Aber da der Kreditmarkt etwa 50 bis 100 Mal größer ist als der Geldmarkt, würde sich eine Zinssenkung von einem Prozentpunkt des Leitzins rein rechnerisch auf den Kreditmarkt nur als Senkung von ein bis zwei hunderstel Prozentpunkten auswirken – wäre also völlig belanglos.

Und warum tun die Banken jetzt selbst das nicht?

Die Banken müssen Filialen schließen und Leute entlassen, weil sie die Kreditausfälle aufgrund von Firmenpleiten und Verlusten an der Börse kaum mehr verkraften können. Und sie kommen wegen der hohen Konkurrenz immer mehr unter die Räder. Ursprünglich galten Margen von knapp zwei Prozent – bis Anfang der Neunzigerjahre. Inzwischen ist die Marge, also die Differenz zwischen Einnahmen aus Kreditzinsen und Ausgaben für Zinsen auf Sparguthaben, auf unter 1,2 Prozent gesunken.

Das von Ministerin Künast und anderen Verbraucherschützern betriebene Banken-Bashing ist also nicht berechtigt?

Nein. Es wäre trotzdem ein toller Erfolg, wenn man dadurch die Banken zu Zinssenkungen bringen würde, aber das geht nicht.

Da kann man nichts tun?

Nur wenn die Sparer bereit sind, ihr Geld für weniger Zinsen an die Banken zu geben, sinkt der Kreditzins. Aber der Guthabenzins hat bereits die Untergrenze erreicht. Wenn er noch weiter absinkt, legen die Menschen ihr Geld gar nicht mehr an, sondern halten es zu Hause oder auf dem Girokonto. Das aber würgt die Konjunktur endgültig ab.

Also sind zu niedrige Zinsen gefährlich?

Im Gegenteil, sie wären eine Rettung! Aber nur, wenn man die Menschen dann daran hindert, ihr Geld zu Hause oder auf dem Girokonto zu halten. Zum Beispiel durch eine Abgabe auf Girokonten. Hohe Zinsen sind aber tödlich für die Volkswirtschaft.

Warum?

Die Banken zahlen heute bereits fast eine Milliarde Euro täglich an die Geldgeber, und bei höheren Zinsen explodiert diese Summe förmlich. Die Zinszahlungen vermehren das Geldvermögen vor allem der Reichen.

Hohe Zinsen fördern also die Umverteilung nach oben?

Alle Zinsen tun das. Denn wenn aus dem Kuchen des Volkseinkommens das Geldvermögen jedes Jahr ein größeres Stück herausschneidet, dann wird der Rest immer kleiner.

Einkommen aus Arbeit …

… und um diesen Rest streiten Gewerkschaften und Arbeitnehmer. Das Kapitaleinkommen bleibt unangetastet. Hinzu kommt, dass die Kreditzinsen, die Unternehmen an die Banken zurückzahlen müssen, die gesamte Volkswirtschaft belasten, denn die Kosten werden an die Verbraucher weitergegeben. 2001 waren es 380 Milliarden Euro – das entspricht 66 Prozent aller Nettolöhne. Oder 130 Prozent des Bundeshaushalts. Darüber spricht kein Mensch – aber über die drei oder fünf Milliarden Euro, die im Gesundheitsetat fehlen, wird wochenlang diskutiert.