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Archiv-Artikel

Abgrund unter dem Kitsch

Alphorn spielen und für Lynch singen: Das liegt hinter Julee Cruise, die heute in der Volksbühne ihr erstes Konzert gemeinsam mit Marcus Schmickler gibt. Ein Gespräch mit den beiden Perfektionisten

VON CHRISTOPH BRAUN

taz: Julee Cruise, obwohl Sie bereits mit berüchtigten Perfektionisten wie David Lynch zusammengearbeitet haben, bezeichneten Sie Marcus Schmickler nach den Aufnahmen für ihre gemeinsame LP „Dreams Top Rock“ als „Sklaventreiber“. Wieso?

Julee Cruise: Es war die grausamste Aufnahme meines Lebens! Ich bin ja schon einiges gewohnt. Doch es dauerte so lange. Alles musste perfekt sein. Marcus hat so ein Ohr und hört die kleinsten Unregelmäßigkeiten sofort. Es war wie mit Badalamenti und Lynch.

Sie sangen den Titelsong von Angelo Badalamentis Soundtrack für David Lynchs TV-Serie. So wurden Sie zur „Stimme von Twin Peaks“. Das ist bis heute das Julee-Cruise-Label. Stört Sie das?

Cruise: Nein, das stört mich überhaupt nicht. Denn das ist doch wirklich mal ein Fixpunkt! Ich bin noch lange nicht durch, und ich lehne auch viele Angebote ab. Der Twin-Peaks-Soundtrack aber ist etwas, worauf ich sehr stolz bin.

Marcus Schmickler, können Sie sich an den Moment erinnern, in dem Sie zum ersten Mal die Stimme von Julee Cruise gehört haben?

Marcus Schmickler: Ja, schon eine Weile her, „Twin Peaks“ und vor allem ihr Soloalbum „Floating Into The Night“, das ich bei meinem Freund Hans-Jürgen Schunk hörte. Ihre Stimme und auch die Art und Weise, wie sie bei den Badalamenti-Arrangements zum Einsatz kommt, ist so seltsam kitschig, dass sich das Abgründige sehr leicht darin spiegelt.

Was bedeuten Ihnen die Soundtracks von Angelo Badalamenti?

Schmickler: Musik und Sounddesign erweitern das Spektrum von David Lynchs Filmen immens. An der Oberfläche sind sie sehr glatt und haben gleichzeitig etwas sehr Unheimliches. Leider funktioniert es oft ein wenig wie Kleister. Trotzdem scheint die Musik Gegensätzliches hervorzubringen, kalt und warm, Rationales und Emotionales. Das Tolle ist, dass Lynch sehr gezielt Musik einsetzt und auch die Texte für die Vocals selbst schreibt.

Frau Cruise, als ausgebildete Waldhorn-Spielerin haben Sie bereits vor „Twin Peaks“ professionell Musik gemacht. Wie sind Sie zur Sängerin geworden?

Cruise: Mit einem Masters Degree für das Waldhorn ging ich von der Schule. Ich landete beim Philadelphia Symphony Orchestra. Doch diese Institution des Symphonie-Orchesters war mir zu restringiert. Ich hatte mich schon als Sängerin und Schauspielerin selbstständig gemacht. Da lernte ich Angelo Badalamenti kennen. Es war für mich ein vielsagendes Zeichen, dass es am Abend der Beerdigung meines Vaters passierte. Badalamenti suchte eine Sängerin „für den neuen Film von dem Typen, der Eraserhead gedreht hat“. Es ging also um die Filmmusik zu „Blue Velvet“. Als ich den Namen David Lynch hörte, versuchte ich alles, um bei diesem Soundtrack dabei zu sein.

Mit David Lynch bin ich noch heute befreundet. Fragen Sie mich nicht, woran er gerade arbeitet. Wir unterhalten uns nur über persönliche Dinge, Essen, Kinder, Hunde. Er über die Kinder, ich über die Hunde. Als vor kurzem einer meiner Hunde starb, musste ich aufhören, zu arbeiten, so wichtig sind mir die Tiere.

Zwischen „Twin Peaks“ und „Dreams Top Rock“ liegen gut dreizehn Jahre. Was haben Sie in all der Zeit gemacht?

Cruise: Ich habe als Schauspielerin gearbeitet und gesungen. Doch ich bin sehr wählerisch. Also habe ich meine eigene Platte gemacht, „The Art Of Being A Girl“. Eine Broadway-Produktion über das Leben von Keith Haring, „Radiant Baby“, ist soeben erst beendet worden. Da spielte und sang ich Andy Warhol. Dazu bin ich mit Leuten wie Bobby McFerrin aufgetreten, und vergangenes Wochenende habe ich einen Song für das neue Album des HipHop-Produzenten Prince Paul eingesungen. Er rief mich samstags an, sonntags schrieb ich den Text und montags ging ich ins Studio. Was ich tue, das muss perfekt sein, sonst werde ich wütend. Im Gegensatz dazu kommt mir meine Zeit bei den B-52’s im Nachhinein wie eine Zeichentrickserie vor.

Sie waren reguläres Mitglied der Gruppe The B-52’s?

Cruise: Ja, das war Anfang der Neunzigerjahre nach ihrem großen Hit „Love Shack“. Vor der Tour stieg Cindy Wilson aus. Ich ersetzte sie und spielte während dieser Tour „Die Blonde von den B-52’s“. Ich wollte einfach nur wie sie klingen. Natürlich machte das trotz allem großen Spaß. Heute spielen sie vor Bill Gates, auf so Industriellen-Partys eben.

War es dann Ihre Idee, Herr Schmickler, mit Julee Cruise ein Album aufzunehmen?

Schmickler: Ja, wobei ich die instrumentalen Fassungen der Stücke einigen Freunden vorspielte und es Thomas Brinkmann [Kölner Technoproduzent, Anm. d. Red.] war, der mich dazu drängte, einen weiteren Schritt zu gehen und über Vocals nachzudenken. Mit Julee zu arbeiten war dann gleich mein erster Gedanke, da ich sie für eine absolut herausragende Sängerin und Person halte.

Cruise: Als Sängerin und Schauspielerin verstand ich Marcus’ Stoff sofort. Also schrieb ich die Texte und die Gesangsmelodien zu seinen Liedern. Dabei merkte ich, dass ich diese Songs sehr ruhig, gleichzeitig aber dramatisch interpretieren musste. Auf der Bühne nun stehe ich als Sängerin im Rampenlicht und übernehme die Dinge. Manchmal mache ich da oben so viel, dass es die Leute im Publikum erschreckt.

Heute, 22.30h (nach dem EM-Halbfinale), Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz