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Archiv-Artikel

strafplanet erde: nichts für anfänger von DIETRICH ZUR NEDDEN

„Wie anfangen?“, fragt Ludwig Reiners in einem Kapitel seiner „Stilfibel – Der sichere Weg zum guten Deutsch“ auf Seite 198 (dtv 1963) und empfiehlt, ohne viel drumherum zu reden nach fünf anderen als „sechsten Weg“, auf jede Einleitung zu verzichten. Ein Beispiel: „Letzten Sonntag fuhr ich mit dem Rad von Murnau nach Garmisch.“

Das rollt und sitzt gleichermaßen, kommt aber leider zu spät, also nicht in Frage, weil sie mir vor ein paar Tagen das vierte Fahrrad binnen eines Jahres geklaut haben – in der Hölle mögen sie braten, die nichtswürdigen Halunken. Der mehrmalige Entwendungsvorgang verhinderte zudem meine diesjährige Teilnahme an der Tour de France, aber das ist eine andere Geschichte, die unter dem Titel „Das Leben in den Bergen ist hart und gerecht“ an einem anderen Ort möglicherweise erscheinen wird. Der Satz ist Rudi Altig zu verdanken, der ihn ins Mikrofon dröhnte, als er noch zusammen mit Klaus Angermann die Tour für Eurosport begleitete. Dem geduldigen, metaphysisch geschulten Zuschauer schenkten die beiden damals mindestens fünf bis acht One-Liner pro Etappe, unvergesslich.

Solche Albernheiten würde ein Herr des gehobenen Geschmacks wie Reiners nicht eine Sekunde lang ertragen, wie er genauso „das Gewäsch der Fünfzig-Pfennig-Literatur“ in die Tonne tritt, „mit der die geistig Bedürfnislosen sich zu vergnügen pflegen“. Damit nicht genug, exorziert er außerdem die „Belanglosigkeiten in Zeitungen, Zeitschriften und Broschürenliteratur“, „meist Dinge, die weder wahrhaft unterhaltend noch irgend bereichernd sind“.

Einem Gebot der Stunde – dem vom „lebenslangen Lernen“ – folgend, hatte ich mit einer Verzögerung von zehn Jahren die „Stilfibel“ endlich hervorgekramt. An meinem ersten Tag als Redakteur einer Stadtillustrierten begrüßte mich eine Kollegin mit dem Hinweis, „da oben im Regal“ stehe eine Grammatik, denn in der Hinsicht hätte ich allem Anschein nach erhebliche Schwächen. Ich missverstand ihren solidarischen Rat und ihre Hilfsbereitschaft als Kriegserklärung, und so ward die Atmosphäre fürderhin etwas giftig wie weiland Pantanis Attacke an der Alpe d’Huez.

Reiners (22. Auflage Juni 1987) enthüllt dem aufmerksamen Leser, der möglicherweise ja im grupetto ein Loch zufahren muss, nicht nur das Geheimnis des perfekten Anfangs, sondern auch das, wie man aufhört: „Jeder Sänger, jeder Zauberkünstler, jede Tänzerin hebt sich die beste Darbietung für den Schluss auf.“ Das lässt sich leichter hinschreiben als in die Tat umsetzen, sag ich mal. Ja gut, der Druck ist immer groß, aber vor diesem Hintergrund wächst er in einem Maße, das dem des Col de Tourmalet entspricht. Zum Glück und guten Gelingen hat Reiners aber den ultimativen Tipp für nachher, „wenn Sie Ihren Text durchfeilen“. Man solle ihn jemandem vorlesen, „und zwar einem Menschen, der Ihnen kritisch gegenübersteht, etwa Ihrer Frau“. Bleibt mir nichts anderes übrig: Zu Fuß nach Garmisch oder Murnau. Und dann nach Hause.