: Der Lärmschutzexperte haut auf die Pauke
Italiens unscheinbarer Justizminister Roberto Castelli ist der perfekte Erfüllungsgehilfe für Berlusconis Pläne
Wuscheliger grauer Haarschopf, Brille, ein meist verdutzter Gesichtsausdruck – Italiens Justizminister Roberto Castelli sieht aus, als könnte er kein Wässerchen trüben. Und genauso redet er: leise und bedächtig. Das muss am früheren Beruf liegen: Der Ingenieur war jahrelang Lärmschutzexperte. Auch wenn er es privat wie beruflich gerne leise hat – politisch engagiert er sich in einer Partei, die sich wie keine andere aufs Krachmachen versteht: bei der Lega Nord.
Der Lega trat Castelli 1987 bei, in den frühen Kampftagen. Der große Durchbruch 1992 spülte Castelli ins Parlament. Dort erwarb er sich den Ruf eines relativ gemäßigten Lega-Mannes und brachte es 1999 zum Fraktionsvorsitzenden seiner Partei im Senat. Der nächste Karriereschritt für den 57-Jährigen kam 2001 mit dem Wahlsieg Berlusconis, als Castelli überraschend zum Justizminister berufen wurde. Seine Frau lobt an ihm, dass er ihr jeden Morgen den Kaffee kocht – und solche Qualitäten eines treuen Dieners müssen auch Berlusconi und Bossi in Castelli vermutet haben. Sie täuschten sich nicht: Der angeblich Gemäßigte entpuppte sich im neuen Amt schnell als Kamikaze der Berlusconi’schen Justizpolitik.
Was immer Berlusconis Anwälte (und Forza-Italia-Abgeordnete) an Gesetzesänderungen ersannen, um ihren Chef vor Prozessen zu retten: Castelli winkte alles in seinem Haus durch. Und er steuerte das Seine bei: Zur Jahreswende 2001/2002 versuchte er, einen Richter abzuberufen und so einen Prozess platzen zu lassen, in dem sich Berlusconi wegen Richterbestechung verantworten sollte. Später schickte er Inspektoren zur Staatsanwaltschaft Mailand, um ihr disziplinarische Verfehlungen anzuhängen. Als die Inspektoren nichts Brauchbares lieferten, wurden sie ausgetauscht. Der neue Chefinspektor befand denn auch auftragsgemäß, die Kollegen in Mailand hätten dem „Ansehen der Richterschaft geschadet“. Der Inspektor selbst hatte sich zwar wegen allzu enger Kontakte zur Camorra in Italien noch vor wenigen Jahren hässlicher Vorwürfe zu erwehren gehabt, aber das verhinderte nicht seine Berufung durch Castelli.
Dessen Maßstab ist nämlich nicht das Recht, sondern sein Chefduo Berlusconi-Bossi und die populistische Wählerschaft. Sie bediente er mit Angriffen auf den von ihm lange blockierten Europäischen Haftbefehl oder mit dem Spruch, Italiens Gefängnisse seien „Luxushotels“. Ob er damit seine Grenzen überschreitet, ist ihm egal – seine Frau bescheinigte ihm als einziges Manko Vergesslichkeit, und die legt Castelli auch im Umgang mit Gesetzen an den Tag. Gerade hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, dass alle Prozesse gegen Berlusconi unterbindet, da dehnt der Justizminister die neue Norm über Gebühr aus. Sie gelte nicht bloß für Prozesse, sondern auch für alle Vorermittlungen. Deshalb könne sein Haus das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Mailand in einem neuen Verfahren gegen Berlusconi wegen Unregelmäßigkeiten beim Filmrechtehandel nicht an die USA weiterleiten.
Damit hat Castelli überzogen: Jetzt meuterte auch der christdemokratische Koalitionspartner – und der Lärmschutzexperte wurde, natürlich erst auf Geheiß Berlusconis, wieder leise und kündigte an, er wolle den ebenso eigenmächtig wie gesetzwidrig verhängten Stopp für das Rechtshilfeersuchen zurücknehmen. MICHAEL BRAUN