: Erster Cannabis-Freispruch
Ein Patient mit Multipler Sklerose wird nicht wegen Besitzes großer Marihuana-Mengen bestraft. Amtsgericht Mannheim stellt „rechtfertigenden Notstand“ fest und spricht Angeklagten frei. Das Urteil ist jedoch keine Erlaubnis zum privaten Hanfanbau
von CHRISTIAN RATH
Das Amtsgericht Mannheim hat erstmals in Deutschland einen Cannabiskonsumenten freigesprochen, der aus medizinischen Gründen Marihuana angebaut und geraucht hat. Das Gericht stellte im Fall des Angeklagten, der seit 1985 an Multipler Sklerose (MS) leidet, einen „rechtfertigenden Notstand“ fest.
Angeklagt war der 40-jährige Mannheimer Frührentner Michael F., der bei einer Polizeikontrolle mit vier Joints erwischt worden war. Anschließend durchsuchte die Polizei seine Wohnung und fand unter anderem 14 Hanfstauden, jeweils anderthalb Meter hoch. Vor Gericht musste er sich wegen Besitzes von Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ verantworten – einer Tat, die als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht ist.
Das Mannheimer Schöffengericht unter Vorsitz des Richters Helmut Bauer sprach F. im Mai frei. Sein Handeln sei nicht rechtswidrig gewesen. In der jetzt vorliegenden schriftlichen Begründung heißt es, die Verletzung des Betäubungsmittelgesetzes sei durch F.s schwerwiegende MS-Erkrankung „gerechtfertigt“. F. leidet unter der MS-typischen Ataxie, das heißt einer Störung der Grob- und Feinmotorik, der Gehfähigkeit sowie des Sprach- und Sehvermögens. Erst kurz vor der Verhandlung hatte F. sich durch einen Sturz eine tiefe Kopfwunde zugezogen.
Der Cannabiskonsum ermögliche es dem Kranken, „ein annähernd erträgliches Dasein zu führen“, heißt es nun im Urteil. Zwei medizinische Sachverständige wollten vor Gericht zwar nicht zum Cannabiskonsum raten, hatten aber auch keine Einwände gegen einen individuellen Heilversuch. Es gebe schließlich „keine zugelassenen Therapiealternativen“.
Die Staatsanwaltschaft hat Revision gegen das Urteil eingelegt. Hierüber muss in den nächsten Monaten das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entscheiden. Die Chancen stehen gut, zumal auch andere Obergerichte wie das OLG Köln und das Berliner Kammergericht (taz vom 9. Dezember 2002) den medizinisch gerechtfertigten Cannabisgebrauch für möglich halten. In den dortigen Verfahren war es allerdings (noch) nicht zu Freisprüchen gekommen.
Dem MS-Patienten F. hilft sein strafrechtlicher Erfolg allerdings nur bedingt weiter. Der Freispruch ist noch keine Erlaubnis zum Hanfanbau. Diese hatte der Mannheimer zwar beim Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel beantragt, aber nicht erhalten. Angeblich fehle das laut Gesetz erforderliche „öffentliche Interesse“. Gegen diese Entscheidung hat F. beim Verwaltungsgericht Köln geklagt. Das Urteil in diesem Verfahren steht noch aus.
F.s Hamburger Anwalt Robert Wenzel will das Verfahren notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht tragen. Dort war F. mit sieben anderen Kranken allerdings schon einmal vorstellig geworden. Damals lehnte Karlsruhe die Verfassungsbeschwerde als unzulässig ab. Die Patienten sollten erst mal einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel stellen, so das Oberste Gericht. Ein, wie sich nun zeigte, ziemlich sinnloser Hinweis.
Das Problem mit dem medizinischen Hanfanbau könnte dadurch entschärft werden, dass inzwischen auch medizinische Präparate mit dem Cannabiswirkstoff THC zugelassen und auf dem Markt erhältlich sind. Auch bei F. hatte das einschlägige Medikament Dronabinol „durchschlagende Wirkung“. Doch seine Krankenkasse, die AOK, weigert sich, das teure Präparat zu finanzieren. Begründung: Die Wirksamkeit sei noch nicht in Großversuchen belegt. Auch die baden-württembergischen Sozialgerichte haben diese Entscheidung in zwei Instanzen bestätigt.
„Mein Mandant ist vermögenslos und kann sich das Medikament auf eigene Rechnung nicht leisten“, kritisiert sein Anwalt Wenzel, „also muss er das Marihuana selbst anbauen und wird damit geradezu in die Illegalität gedrängt.“
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