lost in lusitanien : Ehrenportugiese gibt sein Jawort
MATTI LIESKE über die wundersame Wandlung von Felipe Scolari vom Wüterich zum Fußballweisen
Wer in Rio de Janeiro schon mal bei den berühmten Fußballspielen an den Stränden von Flamengo, Ipanema oder der Copacabana zugeschaut hat, der weiß, was die Grundelemente des brasilianischen Fußballs sind: bezaubernde Technik, verblüffende Tricks, die konsequente Ignorierung des frei stehenden Mitspielers und der herzhafte Tritt ans Scheinbein des Gegners. Die Trainer des Landes versuchen von jeher, das erste Element zu fördern, das zweite zu dämpfen, das dritte zu eliminieren und das vierte auf ein tolerables Maß zurückzuschrauben. Nicht so Felipe Scolari: Der 54-Jährige widmete sich in seiner langen Trainerkarriere mit Hingebung der Vervollkommnung von Nummer vier. Die Fußballästheten im Lande bekamen auf der Stelle Kopfweh und Schweißausbrüche, als Scolari während der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2002 die geliebte Seleçao übernahm, die erstmals ein WM-Turnier zu verpassen drohte. „Er liebt Brutalos, die Fouls begehen“, sagte Altstar Tostão, und als die WM-Teilnahme unter Dach und Fach war, warf man ihm vor, eine „Auswahl des Mittelmaßes“ zum Turnier zu schicken. Die Kritik hielt unvermindert an, dann war Brasilien Weltmeister, und es herrschte Ruhe.
Auch die brasilianischen Journalisten, die dem Nationalteam, meist aufgeregt schnatternd zu hunderten folgen und sich keinesfalls scheuen, den Trainer in Pressekonferenzen minutenlang anzubrüllen, bekamen einen gehörigen Schreck, als der Nachfolger des glücklosen Emerson Leão benannt wurde. In Scolari hatten sie ihren Meister gefunden. Er machte keinen Hehl daraus, dass er das ganze Journalistenpack am liebsten mitten im Amazonas-Urwald unter Jaguaren, Vogelspinnen und Giftschlangen aussetzen würde. Entsprechend rüde behandelte er sie auch.
Kaum zu glauben, dass es sich bei dem Felipe Scolari, der gerade in Portugal Hof hält, um denselben Menschen handeln soll. Seine Mannschaft spielt offensiv, auch wenn der Trainer gern die „schrecklichen Risiken“ dieser Spielweise beschwört, sie agiert zwar nicht foulspielfrei, aber doch sehr zivilisiert – wenn jemand Gift in die Partie am Mittwoch brachte, waren es die Holländer. Und Scolari selbst ist die Liebenswürdigkeit in Person. Verbindlich, redselig, gestenreich, humorvoll bestreitet er die Pressekonferenzen, findet er mal eine Frage besonders blödsinnig, geht er dem Urheber nicht an die Gurgel, sondern zeigt sein Missfallen lediglich durch leichtes Heben beider Augenbrauen und klärt die Sache mit einem kleinen Bonmot. Wen er denn gern als Gegner im Finale hätte, wurde er gefragt. Kurzes Zucken der Augenbrauen, dann der Schultern: „Ich würde es vorziehen, es kommt keiner von beiden.“
In Portugal hatte Scolari zunächst einen schweren Stand, fast so wie sein Spieler Deco, ebenfalls aus Brasilien stammend, gegen dessen Einbürgerung vor allem der Kapitän Luis Figo wetterte. Als der brasilianische Trainer dann auch noch einige verdiente Veteranen aus dem Team warf, insbesondere den beliebten Torwart Vítor Baia vom FC Porto, gleichzeitig auch andere Spieler vom Europacupgewinner ignorierte, sank seine Beliebtheit auf jenen Stand, den sie in Brasilien bei der Amtsübernahme innegehabt hatte. Noch zum Viertelfinale gegen England veröffentlichte die Satirebeilage der Zeitung Público zwei Texte. Einen, in dem der unwürdige Brasilianer mit Schimpf und Schande zum Teufel gejagt wird; einen, in dem man ihn Rehhagel-mäßig zum Ehrenportugiesen ernennt und mit Lobeshymnen überhäuft. Letzteres ist inzwischen eingetreten.
Wieder einmal hat Scolari seinem Ruf alle Ehre gemacht, ein Meister im Bestreiten von K.o.-Spielen zu sein. Pokale und Turniere sind seine Spezialität, zweimal, mit Gremio Porto Alegre und Palmeiras, hat er die Copa Libertadores, das südamerikanische Pendant zur europäischen Champions League, gewonnen. In solchen Spielen, die er gern „Mata-Mata“, Töte-Töte, nennt, funktioniert die martialische Rhetorik, die er so gern benutzt, am besten. In der Auswahl zu spielen sei, als würde man „vom Vaterland gerufen, um in einem Krieg zu kämpfen“, sagte er einmal, was ziemlich genau dem Text der portugiesischen Hymne entspricht. Als den spanischen Nachbarn solche Redeweise übel aufstieß, beeilte sich Scolari aber zu beteuern, dass Fußball natürlich kein Krieg sei: „Das sagt man halt so.“
In Portugal nimmt man ihm jetzt gar nichts mehr übel, seit er die Porto-Spieler integriert hat, dem Land und dem Volk bei jeder Gelegenheit Honig ums Maul schmiert und vor allem gewinnt. Vor nicht langer Zeit war die Frage, ob ihn die Portugiesen nach der EM weiter behalten wollen, zuletzt lautete sie nur noch, ob er bleiben will. Als „Heirat“ hatte Verbandspräsident Gilberto Madail die Vertragsverlängerung bezeichnet, am Mittwoch erklärte Scolari: „Ich habe hier den Ring und sage ja.“ Die portugiesischen Journalisten im Saal applaudierten begeistert. Felipe Scolari lächelte und zuckte mit keiner Braue.