: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“
Hans-Peter Kaul, erster deutscher Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, über den Zustand des Courts, die Behinderungen durch die USA und die Verantwortung der Staaten, selbst Verfahren durchzuführen
taz: Es scheint, als ob der Kongo nun tatsächlich der erste Fall des Internationalen Strafgerichtshofs wird. Ist diese Meldung aus der letzten Woche so zu verstehen, dass Sie nun tatsächlich so weit sind?
Hans-Peter Kaul: Als Richter spreche ich erst dann von einem Fall, wenn ein Angeklagter vor den Schranken des Gerichts steht und sich dort verantwortet. Es gibt bis jetzt nur die Vorstufe.
Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof sich erst noch bewähren müsse. Steht er auf der Kippe?
Nein. Sie werden in zehn Jahren den Strafgerichtshof als etablierte Institution mit eingespielten Verfahrensabläufen und einem Record von fair und zügig und unter voller Wahrung der Rechte des Angeklagten abgewickelten Verfahren haben. Aber: Wir sitzen in Den Haag, und es ist völlig undenkbar, dass der Strafgerichtshof ohne die Unterstützung von Vertragsstaaten in schwer zugänglichen, riesigen unsicheren Ländern vollkommen aus eigener Kraft Ermittlungen, Festnahmen und Überstellungen nach Den Haag durchführen kann. Hoffentlich also stellen die Staaten jetzt auch unter Beweis, dass sie mit dem Strafgerichtshof zusammenarbeiten und ihm helfen.
Ein Teil der Idee der Komplementarität, die für den IStGH ganz wesentlich ist …
… absolut entscheidend …
… basiert ja auf der Hoffnung, dass mehr Staaten das Weltrechtsprinzip anwenden und selbst Verfahren durchführen würden.
Ja.
Belgien war da sehr weit vorangegangen, hat dann aber dem Druck der USA nicht standgehalten und die entsprechenden Gesetze entschärft. Derzeit scheint es, als ob sich die Länder zurückziehen und auf Den Haag verweisen. Bedroht das nicht die Grundidee des Gerichtshofs?
Ich kann diese Tendenz nicht erkennen, daher ist das Spekulieren müßig. Allerdings möchte ich schon sagen, dass es auch aus der Sicht des Strafgerichtshofs absolut wünschenswert ist, dass wir nicht zum Zuge kommen, sondern dass Staaten, die dazu in der Lage sind, die Strafgerichtsbarkeit ausüben.
Vor wenigen Tagen hat der Sicherheitsrat signalisiert, dass er die gleiche von den Vereinigten Staaten eingebrachte Resolution, die er vor zwei Jahren noch mit 15:0 Stimmen angenommen hatte, abzulehnen beabsichtigt, woraufhin sie zurückgezogen wurde. Wie erklären Sie sich das?
Das können andere viel besser erklären. Vielleicht darf ich lediglich sagen, dass wir die Vorgänge im Weltsicherheitsrat mit großer Aufmerksamkeit verfolgt haben und dass wir nicht besonders traurig über die neue Entwicklung sind.
Entspannt sich damit das Verhältnis zwischen USA und Strafgerichtshof?
Es gibt immer wieder glaubhafte Angaben aus den USA selbst, dass vor und hinter den Kulissen weiterhin alle Mittel ausgeschöpft werden, um den Strafgerichtshof zu marginalisieren und Staaten von der Migliedschaft im Statut abzuhalten. Das ist ernst. Aber das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen – und ich erinnere immer daran, dass die Völkermordkonvention auch 34 Jahre gebraucht hat, um den US-Kongress zu passieren.
Wenn Sie für Ihre Arbeit drei Wünsche frei hätten – was wären die?
Dass wir erstens möglichst die Zahl unserer Mitgliedsstaaten steigern können, und zwar mindestens bis auf die 139 Zeichnerstaaten. Zweitens, dass die Staaten ihre eigene Verantwortung zur Verfolgung dieser schwersten Straftaten so ernst nehmen, dass wir so wenig wie nur irgend möglich zum Zug kommen müssen, und drittens, dass wir dann, wenn wir zum Zug kommen, konsequent durch effektive Zusammenarbeit in die Lage versetzt werden, den Fall vorzubereiten, die Angeklagten in Den Haag zu haben, und dann eher zügig und unter voller Wahrung der Rechte des Angeklagten unter Beweis stellen, dass wir funktionieren.
INTERVIEW: BERND PICKERT