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Archiv-Artikel

Neuschwanstein bei Berlin

Eine Landpartie mit Performern der Sophiensæle auf das Wasserschloss Groß Leuthen – Wasserleichen, Grillwürstchen und ein ironisches Verhältnis zur Revolution inbegriffen

Der Erste liest Philosophie und redet von der Anziehungskraft des Nichts, der Zweite schlägt Tennisbälle und klagt über die Enttäuschungen des Extremsports. Beide Männer sind aus dem See gekommen, wie zurückgekehrte Wasserleichen, und agieren nun in klitschnassen Klamotten in einem malerischen Tableau. Manet könnte diese Picknick-Szene gemalt haben, der die tief stehende Sonne das beste Streiflicht spendet. Die Sätze der Performer fallen da hinein wie Sprechblasen, die man einem zu schönen Bild der Idylle aufgeklebt hat.

Kunst und Freizeitkultur, sie treffen in dieser Performance des Ensembles Two Fish aufeinander als zwei Bewegungen der Suche nach dem Sinn des Lebens. In wenigen Dialogzeilen durchqueren die Darsteller einen geistigen Horizont vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, vom Nihilismus bis zur abgestürzten New Economy. Ihre Gegenwart ist ohne Ziel und ohne Haltung, und das wird in kurzen Statements beschrieben: „Ich habe sowohl ein ironisches Verhältnis zum System wir zur Revolution.“ Dann prügeln sie sich schließlich unter der Trauerweide um die richtige Art, Frauen zu verführen und Würstchen zu grillen. In dieser Mischung aus Körpereinsatz und Denkfiguren schnürt das Ensemble Two Fish ein Bündel aus vielen Widersprüchen, mit denen der Städter das Land bedenkt.

So wird der Ort zum Stichwortgeber auf dem Wasserschloss Groß Leuthen. Dort findet die Ausstellung „Rohkunstbau“ zum 10. Mal statt (vgl. taz vom 3. Juli), in der bildende Künstler ihre Konzepte auf die Fantasien treffen lassen, die von der romantisch eklektizistischen Architektur ausgehen. An jedem Samstag kommt ein Bus aus Berlin und bringt Gäste zu einem speziellen Programm. An den nächsten Wochenenden sind das Kino Eiszeit, die experimentelle Hörspiel-Abteilung des Bayrischen Rundfunks, die Tanzszene aus dem Dock 11, das Kaffee Burger und der Schriftsteller Rolf Schneider die Begleiter der Reise. Die Performer des letzten Reise kamen aus den Sophiensælen.

Ein Schloss erweckt Begehren: verwöhnt zu werden. In Gross Leuthen scheint jedes Zimmer mit den Blicken auf das Wasser, Deckenbemalungen und Stuckaturen einem anderen Vergnügen gewidmet: der Musik, dem Tanz, dem Studium, der Muße. Gudrun Herrbold fügt dem eine Erzählung hinzu, in der sich Machtfantasien und sexuelle Libertinage mischen. Sie erzählt von ihrer Reise in eine Republik der Dominas, irgendwo hinter der tschechischen Grenze. Sie nutzt dabei unseren Glauben an Klischees und schraubt sie ein wenig weiter. Weder weiß man, ob es sich bei dem „Other world kingdom“ um die kommerzielle Erfindung rheinischer Zuhälter oder um eine matriarchale Widerstandsbewegung handelt, noch, ob es überhaupt außerhalb der Worte der Autorin existiert.

Den Ort des Sprechers im Unklaren zu lassen und doch blitzschnell zwischen unterschiedlichen Perspektiven wechseln zu können, darin sind auch Lajos Talamonti und sein Mitspieler unschlagbar, die die Fahrt vom Berliner Schlossplatz in den Spreewald moderierten. Sie begleiteten uns im Duktus von Reiseleitern, Tourismusmanagern und Bürgermeistern, die Umsiedler aus der Stadt im Brandenburgischen empfangen. Utopie und Zivilisationskritik reiben sich in ihren Textcollagen: „Für jedes Arschloch gibt es eine Produktpalette.“ Ob Mülltrennung, Stadtplanung, deutsche Geschichte oder Freizeitverhalten ihr Thema sind: Nie wird man so richtig glücklich mit dem Verhalten des Menschen. Er scheint doch schwer erziehbar. Egal, ob auf dem Land oder in der Stadt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Programm abrufbar unter www.rohkunstbau.de