: Die Unschuld von Bagdad
Vor dem Haftrichter zeigt sich Saddam Hussein angriffslustig und kein bisschen schuldbewusst: „Das hier ist alles Theater, der wahre Verbrecher ist Bush“
AUS BAGDAD KARIM EL-GAWHARY
„Mein Name ist Saddam Hussein – Präsident der irakischen Republik“. Das war die Antwort des ehemaligen Diktators auf die zweimalige Frage des Richters nach seinem Namen, als er gestern einem irakischen Sondergericht in Bagdad vorgeführt wurde. Saddam Hussein erschien mit gepflegtem Vollbart, abgemagert, mit Rändern unter den Augen. Eine Videoaufnahme der Anhörung, die jedoch fast ohne Ton ausgestrahlt wurde, gab der Öffentlichkeit erstmals seit seiner Verhaftung vor sieben Monaten Gelegenheit, sich ein Bild von Saddam Hussein zu machen.
Im Gerichtssaal er zeitweise eher konfus und niedergeschlagen auf. Doch in anderen Momenten gab er sich trotzig und angriffslustig. Mit dem Finger auf den Richter zeigend, fragte er, was das für ein Gericht sei, wer dieser Richter sei und unter wessen Recht hier gerichtet werde. Nach einem längeren Wortwechsel verlas der Richter nach 20 Minuten die sieben vorläufigen Anklagepunkte (siehe Kasten).
Saddam zeigte sich unbeeindruckt. Er fragte den Richter, wie er „die Hunde“ (gemeint sind die Kuwaiter) verteidigen könne. Kuwait sei irakisches Gebiet, er sei dorthin „zurückgekehrt, weil die Kuwaiter irakische Frauen für zehn Dinar gekauft haben“. Er habe das alles für die Iraker getan. „Das hier ist alles Theater, der wahre Verbrecher ist Bush“, verkündete er. Saddam weigerte sich auch, ohne Anwalt eine Erklärung zu unterschreiben, dass er die Anklage und seine Rechte als Angeklagter verstanden habe. „Ist es nun vorbei?“, fragte er den Richter, bevor er nach einer halben Stunde wieder aus dem Gerichtssaal geführt wurde.
Saddam war von einem unbekannten Ort mit einem Helikopter eingeflogen und dann mit einem gepanzerten Bus vor das Gebäude, in dem das Sondergericht tagte, gefahren worden. Bevor er, begleitet von zwei irakischen Wächtern, aufrechten Hauptes den Gerichtssaal betrat, wurden ihm hörbar vor der Tür die Handschellen abgenommen. Neben dem Richter waren auch Mitglieder der irakischen Regierung, wie Muwafak Rubai, der nationale Sicherheitsberater und Anwälte der US-Justizbehörde anwesend. Ironischerweise diente das Gebäude bis zum Krieg als Aufbewahrungsort und Museum für Geschenke, mit denen irakische Untertanen einst Saddam huldigten und ihm auswärtige Gäste, darunter auch der heutige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, einst ihre Aufwartung machten.
Auch wenn Saddam die Chance nutzte, sich in Szene zu setzten, machte der irakische Präsident Ghasi Ijawa noch am Morgen noch einmal deutlich, dass dies kein politischer Schauprozess werden soll. „Das ist der Fall das irakische Volk gegen Saddam Hussein. Wir werden niemals in das Verfahren intervenieren.“
Außer Saddam wurden elf führende Mitglieder seines Regimes dem Gericht überstellt. Unter ihnen sind der frühere Vizepräsident Taha Jassin Ramadan, der frühere stellvertretende Ministerpräsident Tarik Asis und der als „Chemie-Ali“ berüchtigte Ali Hassan al-Madschid, der unter anderem für das Giftgasmassaker 1988 in der kurdischen Stadt Halabdscha verantwortlich gemacht wird.
Nur wenige Kilometer von Saddams Gericht entfernt auf der anderen Seite des Tigris, in al-Alwija im Zentrum Bagdads, befindet sich das „Haus der Gerechtigkeit“, das Zentralgericht der irakischen Hauptstadt. Der Angeklagte Saddam scheint hier Welten entfernt. Es ist ein ganz normaler Gerichtstag. Anwälte hetzen von einem Gerichtssaal zum nächsten. Gerichtsdiener schleppen ihnen gemessenen Schrittes die Prozessakten hinterher. Richter Mohammed Dschawad al-Turaihi beglaubigt in seinem Büro gerade den Übertritt eines Amerikaners zum Islam, bevor er die Vermählung eines irakischen Paares bezeugt und die Freudenrufe der beiden Mutter über den Gang hallen. Al-Turaihi richtet seit 17 Jahren in diesem Gebäude. „Wenn du unter den Menschen richtest, dann richte gerecht“, wird auf einer Tafel eine koranische Sure zitiert, der Leitspruch der irakischen Justiz. Der Richter gibt sich überzeugt, dass Saddam Hussein einen fairen Prozess bekommt. „Wir haben erfahrene und gut ausgesuchte Richter, die sich weder von den Amerikanern noch von der neuen irakischen Regierung beeinflussen lassen“, sagt er stolz. Bei der Frage, ob es nicht eine Ironie sei, dass Saddam nach den gleichen Gesetzen vor Gericht steht, unter denen er 35 Jahre lang regiert hat, winkt er ab. Das Problem seien nicht die Gesetze gewesen, die meist auch noch heute gelten, sondern das Regime, das sich über die Gesetze gestellt und immer wieder in den legalen Prozess interveniert habe. „Dagegen genießen wir jetzt das erste Mal in unseren modernen Geschichte als Richter wirkliche Unabhängigkeit“, sagt der 55-Jährige.
Draußen vor seiner Tür wacht eine junge irakische Polizistin. Sie hat ihre hellblaue Uniform erst vor wenigen Wochen von der neuen Regierung erhalten. Ich liebe meinen neuen Job“, sagt sie. Ob sie heute nicht auch gerne Saddam Hussein vor Gericht sehen möchte? Die Frau schüttelt den Kopf. „Ich liebe Saddam“, lautet ihre überraschende Antwort. „Er ist ein starker Mann, und ich möchte nicht sehen, wie er vor einem Gericht vorgeführt wird“, sagt sie und fügt hinzu „Für mich ist er kein Verbrecher, sondern ein nationales Symbol.“