: Viele Geißböcke, ein Lottner
Die Erwartungen in Köln sind hoch. Für den eher nüchternen Trainer Friedhelm Funkel macht das die Mission nicht leichter. Die wiederum heißt: Drei Mannschaften hinter sich lassen – mindestens
aus Köln BERND MÜLLENDER
Sieben Hennesse hat es bis heute gegeben. Sieben leibhaftige Geißböcke, die seit Erfindung des Maskottchentums dem 1. Fußball-Club zu Köln als Glücksbringer dienten. Der aktuelle Hennes VII ist derweil nicht mehr allein: Auf der Homepage des FC tummelt sich eine ganze Herde als Logo. Der traditionell größenwahnsinnige FC in der traditionell selbstbesoffenen Stadt klont also schon sein Glücksviech – ein ganz normales Stück kölschen Wahnsinns.
Offiziell macht der Wiederaufsteiger indes in Zurückhaltung. Manager Andreas Rettig, der sich in den anderthalb Jahren seines Wirkens um Seriosität und Organisationsstraffung bemüht und verdient gemacht hat, kennt nur das Ziel, „dass wir drei Mannschaften hinter uns lassen“. Allerdings folgt auch beim besonnenen Rettig der Zusatz „mindestens drei!“ Was euphorieschwangere Spekulationen zulässt – nach 17 Kölsch wird der Fan hochrechnen und 17 Mannschaften hinter dem neuen Meister 2004 sehen.
Bloß nicht wieder absteigen, bloß gut in die Saison kommen. In Köln gilt das noch mehr als anderswo. Angreifer Matthias Scherz sagt: „Wenn wir mit zwei Niederlagen starten, geht es ab. Dann ist alles vergessen, was vorher war.“ Manager Rettig glaubt, selbst das „optimistische Naturell“ des Kölners könnte Grenzen haben: „Irgendwann ist die positive Emotionalität ausgereizt. Ich weiß nicht, ob die Fans einen weiteren Fehltritt verzeihen würden.“ Dann, sagt Rettig, gäbe es „den Super-GAU“. Heißt: „Die emotionale Abwendung der Menschen.“
Die Neuverpflichtungen sollen solche Gefühlsblockaden bremsen. Neben Torwart Wessels vom FC Bayern kam aus Istanbul der Bosporus-Deutsche Mustafa Dogan, zweifacher Ribbeck-Nationalspieler von 1999. Er soll zusammen mit dem Exbochumer Sebastian Schindzielorz und dem Exdortmunder Jörg Heinrich dem Defensivbereich Zement verleihen. Heinrich (33) ließ schon nach den ersten Trainingseinheiten die jungen Spieler staunen, wie Manager Rettig beobachtet hat: „Unglaublich, wie der es mit rechts und links kann.“ Kurz danach zog sich Heinrich, orthopädisch interessant, in beiden Oberschenkeln einen Faserriss zu und fällt erstmal aus.
Vorne soll Duisburgs Wuchtstürmer Marius Ebbers toren, dem aber kaum wer Erstligareife zutraut. Anders Andrej Voronin (20), für Mainz im Vorjahr bester Toreerzieler in Liga 2, der Ukrainer könnte aber mit den hohen Erwartungen Probleme bekommen. Alle fünf neuen Feldspieler, hat Trainer Friedhelm Funkel schon sehr früh und damit branchenunüblich angekündigt, erwarte er, so Heinrichs Schenkelpaar ausheilt, in der Startelf in Mönchengladbach.
Eine Konstante bleibt: Das Sensibelchen Dirk Lottner (31), den Kritiker als Hemmschuh sehen, viele aber als Spielmacher verehren, als Zollstocker Heimatfaktotum und gelegenheitsgenialen Freistoßschützen. Lottner bleibt auch Kapitän, hat Funkel angeordnet. Der Kölner Stadt-Anzeiger fand die Wahl logisch, da Lotte „ohnehin schon Dauergast der Boulevard- und Biertisch-Diskussionen“ sei. „Wahrscheinlich“, spottete das Blatt, „ist die Unruhe, die ein Kapitän Lottner verbreitet, kaum größer als das Getöse, das seine Ablösung bedeutet hätte.“
Bei aller Aufstiegs-Euphorie möchte niemand mehr solche Performances sehen wie im Vorjahr: Regelmäßig spielte der FC einen Grottenstiefel zusammen, aber er siegte und siegte. Die Süddeutsche hatte damals erkannt, der Club werde „zum Abbild seines Trainers“. Hieß: Fußballkölle gibt jede Anmutung von Glamour und Spektakel auf und siegt sich in einem fußballerischen Herr-und-Hund-Syndrom mit viel Kampf und Arbeit bieder zum Sieg – so wie eben Coach Funkel redet und wirkt.
Solch ein Erfolgsrezept ist dem eher respektierten als geliebten Funkel gegenüber nicht ganz fair. Denn der Exuerdinger ist zwar einer der wichtigsten Vertreter des trainerischen Savianatums (Sagt viel, aber nichts aus), kann aber privat ganz anders. Beleg sei ein langer, später Abend in einer Freiburger Szene-Kneipe diesen Winter, wo Funkel nach einem Heimspiel des SC gutlaunig Bier um Bier trank und dabei unerwartet charmereich stundenlang eine einheimische Studentin zuflirtete.
Der FC boomt. Zur Saisoneröffnung bei Bratwurst und Bier kamen 20.000 Menschen. Der Vorbereitungskick gegen den FC Liverpool (1:3) war ausverkauft. Für die bislang dreiviertelfertige Arena, ein grenzwertig steiles und jetzt schon über die Maßen phonstarkes Bauwerk (vorläufige Kapazität 33.000, ab Rückrunde: 51.000), sind über 20.000 Dauerkarten verkauft. Hardcore-Fans reicht das nicht, und so haben 500 FC-Freunde Auswärts-Dauerkarten erworben. Und selbst die Frage des Trikotsponsors ist seit Dienstag geklärt: Der Kartoffelchips-Fabrikant funny-frisch, ein Kölner Unternehmen, prangt ab sofort auf der Kölner Brust.
Die Publikumsbindung ist am Rhein langfristig angelegt. Zwar sind selbst im Stadion noch keine Kinderwagen-Dauerstellplätze eingerichtet. Aber im Fan-Shop in der Kölner Innenstadt ist, in Rot und Weiß mit saugfreundlichem Geißböckchen-Logo, der „kiefergerechte Beruhigungsschnuller ab 5 Monate“ erhältlich. Nur, warum beruhigen? Auch der jüngste Fan muss doch brüllen. Vielleicht sieht man aber bei Gegentoren demnächst tribünenweise Mamas und Papas an den Dingern nuckeln. Beim EffZeh ist alles möglich. Sogar der Nichtabstieg.