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Archiv-Artikel

Der Wandel des Wandels

Vierzig Jahre Berliner Stadterneuerung: Rückblick auf eine bewegte Geschichte, die auch im Hinblick auf aktuelle Stadtentwicklungsdebatten aufschlussreich ist

1964 beschloss der Senat das erste Stadterneuerungsprogramm. 60.000 Wohnungen, in denen 140.000 Menschen lebten, wurden dabei ins Visier genommen. Davon sollten 43.000 Wohnungen abgerissen, 24.000 neu gebaut und 10.000 modernisiert werden – in 10 bis 15 Jahren. Aber selbst nach dem Mauerfall war man noch nicht so weit.

Flächensanierung lautete damals das Zauberwort. Planungsziel war die Stadterweiterung, also Neubau. Großsiedlungen wie Märkisches Viertel oder Gropiusstadt waren en vogue. Eine Konsequenz davon: kompletter Abriss ganzer Altbauzüge wie an der Brunnenstraße in Wedding oder am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Auch die Rollbergsiedlung in Neukölln ist ein Kind jener Zeit. Im Ostteil der Stadt wurde ganz ähnlich verfahren. Seit den späten 60ern wurde unter anderem der Alexanderplatz mit den angrenzenden Wohngebieten komplett umgestaltet.

Die Pflege der bestehenden Stadt rückte erst während der 70er in den Vordergrund. Begriffe wie „Milieu“ und „historische Stadtgestalt“ prägten zunehmend die Diskussion. Das Bundesgesetz zur Städtebauförderung aus dem Jahr 1971 und das europäische Denkmalschutzjahr 1975 waren Symbole eines Bewusstseinswandels. Mit drei Projekten beteiligte sich Berlin am Denkmalschutzjahr. Schon im Vorjahr hatte der Senat das zweite Stadterneuerungsprogramm eingeleitet. Die bereits bestehenden Sanierungsgebiete wurden in großem Umfang auf das neue Programm umgeleitet.

Dabei ging es nicht nur um den Erhalt der wieder zu Ehren gekommenen Gründerzeitquartiere. Die Beteiligung der Mieter, Gewerbetreibenden und Eigentümer gewann an Bedeutung. Die Anwohner sollten in ihren Quartieren bleiben, Sozialpläne wurden erstellt. Der Klausenerplatz in Charlottenburg gehörte zu den Vorzeigeprojekten dieser neuen Vorgehensweise. Hier wurde der erste Wohnblock völlig im Bestand saniert. Auch in Schöneberg fanden die neuen Richtlinien frühzeitig Anwendung.

Aber die Dampfwalze von Abriss und Neubau konnte nicht von heute auf morgen abgestellt werden. Während gleichzeitig das Selbstbewusstsein und der Wunsch nach Mitbestimmung wuchsen, stiegen die Spannungen. Von 1979 bis 1981 wurden über 150 Häuser besetzt. Der Kurswechsel in der Stadterneuerung war vielen nicht schnell genug. Der Widerstand gegen die Abrisspolitik erlangte massive Aufmerksamkeit.

Die Begründung der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1978 war bereits ein weiterer Schritt auf dem neuen Kurs. Josef Paul Kleihues, Planungsdirektor für die Neubauprojekte der IBA, hatte schon von 1971 bis 1977 mit den Wohnhäusern am Vinetaplatz in Wedding die erste geschlossene Blockrandbebauung nach dem Krieg verwirklicht. Er gilt als Vater der „kritischen Rekonstruktion“, mit der die zerklüftete Innenstadt nach dem klassisch-modern geprägten Bauboom der Nachkriegszeit in Teilen repariert wurde.

1982 wurden im Rahmen der IBA 12 Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung formuliert, denen das Abgeordnetenhaus ein Jahr darauf zustimmte. Die kleinräumige und soziale Stadterneuerung wurde in weiten Teilen Kreuzbergs angewandt. Rekonstruktion wurde auch in Ostberlin zum Leitbild. Die Husemannstraße in Prenzlauer Berg und der Aufbau des Nikolaiviertels in Mitte sind zwei Beispiele für die neue Politik. Im Osten wie im Westen stand die Wiederentdeckung der historischen Stadtstruktur unter dem Vorzeichen des 750-jährigen Stadtjubiläums von 1987.

Mit dem Mauerfall 1989 stand die Stadterneuerung schlagartig vor neuen Herausforderungen. Das erste Gesamtberliner Stadterneuerungsprogramm wurde 1992 beschlossen. 1993 wurden 12 Leitsätze der sozialen Stadterneuerung formuliert. Im gleichen Jahr wurden zudem 22 neue Sanierungsgebiete mit 82.000 Wohnungen festgelegt. Allein 5 dieser Areale befinden sich in Prenzlauer Berg. Sie umfassen insgesamt 32.000 Wohnungen, in denen über 48.000 Menschen leben. Damit wurde Prenzlauer Berg zu einem Schwerpunktgebiet in der Berliner Stadtentwicklung.

In den 90ern vervielfältigten sich die Programme im Rahmen der sozialen Stadterneuerung. 4 „benachteiligte Aktionskulissen“ – in denen rund 31 Prozent der Berliner Bevölkerung leben – wurden in diesem Zusammenhang definiert. Sie werden mit separaten Programmen gefördert. Neben den 30 Sanierungsgebieten stehen die „Weiterentwicklung großer Neubaugebiete-Ost“ (17 Gebiete), die „Stabilisierung der Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus“ (27 Gebiete) und „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ (15 Gebiete) auf der Agenda. Seit 2002 soll mit dem „Stadtumbauprogramm“ zudem der Leerstand in Angriff genommen werden – durch Gebietsaufwertungen, aber auch durch Rückbau.

In den Ostbezirken wurde weniger die flächendeckende Sanierung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften praktiziert als auf private Sanierungsträger gebaut. Von 1991 bis 1999 war das Verhältnis von freifinanzierter zu öffentlich geförderter Erneuerung in Prenzlauer Berg mit 48 zu 52 Prozent noch nahezu ausgewogen. Nachdem das Fördergebietsgesetz 1999 auslief, stieg der Anteil privat finanzierter Sanierungen. Danach überwog die private Finanzierung mit einem Anteil von rund 75 Prozent. Steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten beförderten den Anteil privater Investitionen zusätzlich. Der Ausbau der sozialen Infrastruktur in Form von Erneuerung der Schulen, Kitas, Grün- und Freiflächen kam erheblich langsamer in Gang als die Wohnungsmodernisierung. Häufig fehlten die finanziellen Mittel und die benötigten Freiflächen.

In den Jahren 1998 und 1999 wurden 7 Sanierungsgebiete aus dem ersten Berliner Stadterneuerungsprogramm aufgehoben. Im Sommer 2002 war dann das letzte noch verbliebene Sanierungsgebiet dran: Das Kottbusser Tor – mit fast 105 Hektar das größte Gebiet des Programms – war der Schlussstein zur Beendigung des ersten Berliner Stadterneuerungsprogramms.

LARS KLAASSEN