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Archiv-Artikel

„Die Wucht der Patina ist wichtig“

Achim Greser und Heribert Lenz im Schlappeseppel – ihrem idealen Wirtshaus

Das Zeichnerduo Achim Greser und Heribert Lenz mietete 1996 in Aschaffenburg das erste gemeinsame Atelier an. Seither verkehren beide in der zentral gelegenen Gaststätte Schlappeseppel, die 1631 auf Geheiß von Gustav Adolf von Schweden errichtet wurde und bis heute ein Kleinod geblieben ist. Greser & Lenz recherchieren hier und trinken das eine oder andere Bier. Sie schätzen das Lokal so sehr, dass sie zwei Schlappeseppel-Bierdeckelserien gezeichnet haben.

Herr Greser, mit der Wirtshauskultur geht’s bergab, oder?

Achim Greser: Ist das nur mal eine provokative Behauptung, um uns herauszufordern?

Es werden ja immer mehr Lokale zu Bistros umgebaut.

Heribert Lenz: Die Leute haben schon vor zwanzig Jahren aus ihren wunderschönen Gasthäusern Bistros gemacht.

Greser: Und ich glaub auch nicht, dass man selbst als sentimentaler Anhänger einer uralten Kneipenkultur heute noch zufrieden wär mit einem Zustand, der einen übern Hof aufs Plumpsklo zwingt.

Sie plädieren für eine Erneuerung in Bezug auf die Klos?

Greser: Ja.

Die Kneipenräume selbst haben sich aber auch verändert.

Lenz: Richtig. Es gibt immer weniger Großkneipen – so wie den Schlappeseppel. Stattdessen gibt es immer mehr Essgaststätten, in denen man zu bestimmten Zeiten nicht mehr Karten klopfen darf.

Greser: Das ist auch ein Phänomen des Regionalkonglomerats Rhein-Main, das sich gerne als dynamisches, internationales Wirtschaftszentrum ausweist. Wenn man Geschäfte mit dem Chineserer machen will und dem wie vor hundert Jahren Handkäs und sauren Äppler vorführt, ist das vielleicht nicht unbedingt förderlich. Also, man muss es zulassen, dass der Chineserer ein Lokal kriegt, das nach seiner Façon zugeschnitten ist.

Lenz: Der will halt auch hier seinen Schweinsbraten.

Greser: Das heißt, die Globalisierung schlägt auch hier zurück.

Ist der Schlappeseppel eine Nische?

Lenz: Nee. Das ist einfach ein Gasthaus, das seit Jahrzehnten vernünftig geführt wird, und es marschieren immer noch genug Leute rein.

Greser: Die Wucht der Tradition ist hier auch gewaltig. Und Gott sei Dank ist das Potential dieses Lokals stark genug, um Kräfte zu mobilisieren gegen diejenigen, die den Schlappeseppel in ein zeitgeistgeprägtes Jugendlokal verwandeln könnten. Es ist ein gutes Zeichen, dass man sich hier nicht vom stringenten Erwerbsgedanken leiten lässt.

Lenz: Die Gästeschar ist so groß und zäh, dass eine Umwandlung nie zur Diskussion stand.

Es gibt einen starken Beharrungswillen …

Greser: Die Menschen sind darauf trainiert, auch schon am Nachmittag in das Lokal reinzuschreiten und die ersten Biere zu trinken. Das Beeindruckende ist tatsächlich, dass bereits am Mittag keine kahle Wirtshausödnis herrscht und dieser wunderbare Rumor aus Gebabbel, exaltierten Kartenspielreaktionssignalen, verfrühtem Suff und Extremäußerungen entsteht.

Lenz: Man sitzt einfach generationenübergreifend zusammen, der eine ist Straßenkehrer, der andere Jurist, und man kann über jedes Thema reden und sich gegenseitig beschimpfen.

Greser: Hier sind alle gleich. Hier gelten andere Wettbewerbskriterien als draußen.

Welche?

Lenz: Du musst über jedes Thema reden können.

Greser: Und die Verträglichkeit von Bier muss hoch sein. Die entscheidet über glaubwürdig und unglaubwürdig.

Ist der Schlappeseppel das ideale Wirtshaus?

Lenz: Ja.

Greser: Ja. Das beste Wirtshaus im Umkreis von hundert Kilometern. Der Schlappeseppel strahlt eine so einnehmend sympathische Atmosphäre aus, dass man sich ihr nicht widersetzen kann. Und will. Man wär ja blöd.

Lenz: Denn es ist einigermaßen schlicht eingerichtet. Wenn man mal ein Vorurteil gegenüber Frauen vorbringen darf: Es ist immer problematisch, wenn eine Wirtsfrau gestalterisch tätig wird – wenn dann Hexen in den Fenstern stehen oder Getreidegarben an der Wand pappen oder das mit den Deckchen anfängt. Das ist der Tod.

Greser: Dieser kunsthandwerkliche Schrott, dieses Überdeckungsgewese … Die Wucht der Patina ist wichtig. Die Bänke müssen alt sein. Das ist ein Wohlfühlfaktor, den man spürt. Außerdem darf keine Musik laufen, genauso, wie in einer guten Kneipe die Möbelhausfarbkombination Pink und Türkis nicht vorkommt.

Lenz: Hut ab, Achim! Hervorragende Beobachtung! Und es muss mittags losgehen und sich langsam steigern. Wenn man eine Kneipe erst um siebzehn Uhr aufmacht, ist alles zu spät.

Greser: Kneipen, die zwischen halb drei und halb sechs schließen, sind Kneipen, die außerhalb des Wohlfühlfaktors liegen.

Der Schlappeseppel ist auch eine lichte Kneipe, keine Kaschemme.

Greser: Weil, wie es sich gehört, beim Bau der Sonnenverlauf mitbedacht wurde. Es ist ja auch ein Merkmal des Verschwindens der Kneipenkultur, dass man meint, Kneipe könnte überall sein. Man kann in die Garage Bierbänke stellen. Aber das ist zu kurz gedacht. Das is’ nix. Das ist dumm. Das ist Bezirksliga. Das hier ist Champions League.

Lenz: Wenn das Licht auf mein Bier fällt, geht mir das Herz auf.

Greser: Das ist der theologische Aspekt der Kneipe, das ist noch Abendland!

Lenz: Ich bin dem Herrgott dankbar, dass ich nicht im Islam aufgewachsen bin und in Teestuben rumhocken muss.

INTERVIEW: JÜRGEN ROTH

Brauereigaststätte Schlappeseppel, Schlossgasse 28, 63739 Aschaffenburg, Tel. (0 60 21) 2 55 31, Mo.–Fr. 11–1 Uhr, Sa./So. 10–1 Uhr