Nichts ist wie früher

Auf den tiefen Spuren des Blues in Westafrika: „Feel Like Going Home“ ist Martin Scorseses Beitrag zu der von ihm angeregten Blues-Filmreihe

VON CHRISTIAN BROECKING

Umarmen, festhalten, bewahren: „Feel Like Going Home“ ist ein Film über den Respekt, den ein weißer amerikanischer Regisseur seiner schwarzen Lieblingsmusik, dem Blues, zollt. So gesehen, entpuppt sich hier das Gefühl anzukommen zunächst als eine Annäherung an etwas Fernes und Fremdes. Einst hat es sich ganz tief im Herzen festgesetzt; nun ist es zur Erinnerung geronnen – oder verschwunden. Ein zentrales Thema, das Martin Scorseses eigenen wie auch die anderen sechs Filme der von ihm initiierten und produzierten Blues-Filmserie durchzieht, ist der Verlust. Denn Blues ist Oral History, der mündlich überlieferte Soundtrack zur Alltagsgeschichte Afroamerikas. Wer weiß schon, was von dieser Geschichte heute noch bekannt wäre, hätte der weiße Musikforscher Alan Lomax nicht systematisch die USA durchforstet, um die Vergangenheit auf Ton- und Filmträgern festzuhalten. Dabei kam es 1933 zu der ersten Aufnahme des schwarzen Bluessängers Leadbelly. Ohne Alan Lomax’ Lebenswerk, „Folk Music of the United States“ der Library of Congress wäre insbesondere die afroamerikanische Kulturgeschichte kaum mehr verifizierbar – und Scorseses Film um entscheidende Eindrücke ärmer.

Es scheint, als hätte der Regisseur gern in die Rolle Lomax’ schlüpfen wollen. Tatsächlich begab er sich für „Feel Like Going Home“ zusammen mit dem jungen schwarzen Gitarristen und Sänger Corey Harris auf eine lange Reise vom Mississippidelta bis nach Mali, um die Spur des Blues aufzunehmen.

Dabei wird schnell deutlich, dass die alten Schwarzen im Delta, die den Blues einst erfunden haben, heute vergessen sind und ihre reichen Erfahrungen über die Geschichte der Musik bald mit ins Grab nehmen werden. Typisch dafür ist dieser Satz: „Nichts ist, wie es einmal war.“ Fast schon wie ein Fluch frisst er sich durch die Blues-Filmreihe. Corey Harris ist hier in der Rolle des Interviewers zu sehen, er sucht die Alten auf, redet mit ihnen, ab und zu spielt er ein Stück mit ihnen.

Das Beste, was dieser Film zu bieten hat, sind die eingestreuten Archivaufnahmen. Etwa, als der einst so einflussreiche Sänger und Gitarrist Son House erzählt, dass es nur eine einzige Art von Blues gibt, nämlich den, der das schwierige Verhältnis zwischen Mann und Frau auf den Punkt bringt. Dafür brauche es Erfahrung. Son House war fünfmal verheiratet, „das qualifiziert“, sagt er.

Vereinzelte brisante Momente birgt der Film, wenn Corey Harris nach Westafrika reist und namhafte Musiker wie Salif Keita, Habib Koité oder Ali Farka Touré zu Hause besucht. Fast hätte es klappen können: Ein junger Afroamerikaner fährt nach Westafrika und entdeckt so etwas wie Heimat. Doch auch wenn der Titel des Film dies suggeriert, eingelöst wird es nicht. Touré sagt, dass es gar keine schwarzen Amerikaner gibt, weil die Schwarzen eben per se Afrikaner seien, und das mag zwar einen leichten Schatten auf den Identitätsdiskurs, der an den Black-Studies-Abteilungen nordamerikanischer Universitäten geführt wird, werfen.

Den Film aber bringt es nicht so recht weiter, der hat an dieser Stelle schon sein konzeptionelles Ende erreicht. Weder Keita, Koité noch Touré, die ja selbst äußerst unterschiedliche und eigenständige Ausprägungen der so genannten westafrikanischen Musik repräsentieren, haben etwas mit dem Blues zu tun – das haben sie auffallend gemeinsam. Es bleibt also in erster Linie das Schwarz-bleibt-schwarz-Ding, das Scorsese hier bemüht, das Gefühl, das da etwas sein muss, weil die Hautfarbe stimmt oder zumindest einmal stimmte, bevor sich diese als Folge von interracial sex im Land des Blues zusehends aufhellte. Insofern lässt dieser Film einen eher ratlos zurück. Der Blues mag heute noch vielen, Weißen und Schwarzen, eine Grundstimmung vermitteln, zu der man sich hingezogen fühlt. Als Symbol für kulturelle Apartheid taugt er, zum Glück, nicht einmal mehr in den USA.

„Feel Like Going Home“, Dokumentarfilm, Regie: Martin Scorsese, USA 2003, 83 Min.