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Archiv-Artikel

Der Weg ist das Ziel

Die Lust am Pilgern

Der spanische Jakobsweg wurde binnen zweier Jahrzehnte der erfolgreichste europäische Fernwanderweg. Als 1974 amerikanische Studenten für ein Handbuch recherchierten, trafen sie noch keinen einzigen Pilger. Seit dem 16. Jahrhundert war der Camino praktisch bedeutungslos. Der Boom ging Mitte der Achtzigerjahre los.

Knapp 3.000 Pilgerurkunden stellte das Pilgerbüro in Santiago 1987 aus, im Jahr 2003 waren es fast 75.000. Im diesjährigen „heiligen Jahr“ werden sich schätzungsweise 300.000 Pilger in Santiago melden.

Zu Fuß, mit dem Fahrrad, zu Pferde – so erreicht ein echter Pilger das Ziel. Und fast alle erreichen Santiago de Compostela über die klassische Nordspanienroute, den Camino Francés. Die meisten sind Spanier, es folgen die reisefreudigen Deutschen, Nord- und Südamerikaner, Asiaten, Afrikaner. Kaum eine Nation, die nicht auf dem Camino vertreten ist. Angesichts steigender Kirchenaustritte und dem Bedeutungsverlust der Amtskirchen ist dieser Boom verblüffend. Die Pilgerbewegung wirkt wie ein mittelalterlicher Wiedergänger.

Doch zwischen profanen und gottgefälligen Wanderern zu unterscheiden ist nicht einfach. Eher wie Zen klingt das Motto der modernen Jakobs-Pilger: „Der Weg ist das Ziel.“

An Stock, Wasserflasche und Jakobsmuschel erkennt man das Jakobus-Idol. Es ist Apostel Jakob, um den die Legenden kreisen. Experten bremsen Vermutungen einer Rückkehr in den Schoß der Kirche: Weniger eine Religiosität im traditionellen Gemeindeverständnis bringe die Menschen auf die Beine als vielmehr die Mischung aus Reiseform und eher unspezifischen religiösen Gefühlen. Ob im Bedürfnis, über sich selbst nachzudenken, oder bei der Spurensuche nach historisch-kulturellen Relikten: Die Mehrzahl der Pilger sei dabei auch religiös motiviert.

Für den Mittelalterspezialisten und Jakobus-Forscher Klaus Herbers gilt bereits für das Mittelalter, dass viele unterschiedliche Motive den Erfolg des Camino als Europas bedeutendste Pilgerroute begründeten. Heute, so Herbers, sei das Bündel der Motive anders geknüpft. Wir Heutigen liebten es, religiöse Gefühle und kulturelle Traditionen zusammenzufügen und es gut aufbereitet vorzufinden. „Wo“, fragt Klaus Herbers, „haben Sie das sonst, wenn nicht auf dem Jakobsweg?“ CHRISTEL BURGHOFF