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Archiv-Artikel

Wie ein Stück Fleisch

Nach Protesten der Thüringer Radsportler gegen Funktionärswillkür fällt WM-Start des Bahnvierers aus

BERLIN taz ■ Als gestern bei den Bahnrad-Weltmeisterschaften in Stuttgart die Vorläufe der 4.000-m-Mannschaftsverfolgung begannen, war erstmals seit 1962 kein deutsches Team am Start. Weil Jens Lehmann (Leipzig), Daniel Becke (Erfurt), Sebastian Siedler (Gera) und Christian Bach (Erfurt) erklärt hatten, nur gemeinsam an den Start gehen zu wollen und auf keinen Fall mit den Berlinern Guido Fulst und Robert Bartko zu fahren, die Becke und Siedler ersetzen sollten, sagte der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) den Start ab. Der Burgfrieden, den die Funktionäre zwischen den verfeindeten Fahrern ausgehandelt hatten, hielt keinen halben Tag – anders als bei Olympia 2000 in Sydney, wo trotz aller Aversionen am Ende gemeinsam die Goldmedaille gewonnen wurde.

Vorausgegangen war dem Eklat ein tagelanges Hickhack, in dessen Mittelpunkt Jens Lehmann stand, der mit 14 Medaillen bei Weltmeisterschaften und 4 bei Olympia einer der erfolgreichsten deutschen Bahnradfahrer ist. Dass dies keinen Freibrief für einen WM-Start bedeutet, wusste der 35-Jährige, hatte sich daher sorgfältig auf das Ereignis vorbereitet und die Nominierungskriterien erfüllt. Anders als zum Beispiel Robert Bartko, der seit Olympia sein Geld bei den Straßenfahrern in den Teams Telekom und Rabobank verdient und erst jetzt in Hinblick auf das Highlight Olympia zur Bahn zurückkehrte. Weil er bei einem Leistungstest kurz vor der WM, den Lehmann nach eigenem Bekunden für ein simples Training hielt, besser abschnitt, wurde Bartko statt Lehmann für die Einerverfolgung nominiert, obwohl er sich eigentlich nicht qualifiziert hatte. Dieser laxe Umgang von Bundestrainer Bernd Dittert und Sportdirektor Burckhard Bremer mit den eigenen Regeln brachte die vom thüringischen Landestrainer Jens Lange im Olympiastützpunkt Erfurt betreuten Fahrer auf die Palme. Erst recht, als Bartko mit schwacher Zeit im Viertelfinale ausschied.

Der erboste Jens Lehmann, der schon vorher „Intrigen“ gewittert hatte, bezeichnete Bartko als „Touristen“, erklärte sich aber bereit, zum Wohle des Vierers Ruhe zu geben. Als jedoch dafür der ebenfalls nicht qualifizierte Fulst anstelle von Siedler nominiert wurde, schickte Trainer Lang per E-Mail die Anweisung zum Boykott, der seine Fahrer nachkamen. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten sie die Willkür der Funktionäre, und Daniel Becke meinte: „Wir lassen uns als Sportler nicht wie ein Stück Fleisch behandeln.“ Von den Konsequenzen ihrer Aktion waren die Fahrer indes überrascht. „Wir hatten schon gedacht, dass der Vierer in irgendeiner Besetzung fährt“, sagte Lehmann.

Die Folgen haben zunächst einmal die thüringischen Rebellen zu tragen. Trainer Jens Lang wurde gestern von seinem Amt als Sportlicher Leiter des Teams Köstritzer entbunden und BDR-Präsidentin Sylvia Schenk tat kund, dass der Verband die aufmüpfigen Radler nicht mehr berufen werde. MATTI LIESKE