: Es geht mir um Wahrheit
Vergleichbare Erfahrungen: Auf einem Kirchentag singen und auf Ecstasy tanzen. Wolfgang Tillmans über seine Ausstellung in Berlin, den Saatchi-Brand und seinen Sammler Friedrich Christian Flick
VON JAN KEDVES UND CORNELIUS TITTEL
taz: Es ist vielleicht eine dumme Frage, aber hat so jemand wie Wolfgang Tillmans eigentlich eine Lieblingsfarbe?
Wolfgang Tillmans: Es wird gerne nach meinem Lieblingsfoto gefragt, aber Lieblingsfarbe … Ich glaube, ich mag den Rot-Grün-Kontrast gern, also zum Beispiel eine Beck’s-Flasche mit einem Grablicht. In einem Bild ist das sehr schwierig zu bändigen, weil es immer gleich so eine starke Sprache spricht. Farben sind bei mir ganz zentral. Es wird nur wenig über Farben gesprochen, weil die Leute immer denken, das wäre oberflächlich. Meine „Freischwimmer“-Ausstellung in der Galerie neugerriemschneider, die hat zum Beispiel auch eine Farbstimmung.
Grün.
Ja, viele verschiedene Grüntöne, die sich kombinieren. Die Frage ist immer, ob es funktioniert, ob es nicht gleich als Absicht lesbar ist, ob es eine subtile Bestimmtheit hat, die die ganze Sache zum Klingen bringt.
Ob es also Musik fürs Auge ist?
Ja. Für meine Arbeit ist zum Beispiel elementar gewesen, dass ich das Vergrößern von Farbfotos gelernt habe. Bis ich 21 war, habe ich gedacht, dass die Farbe in den Fotos einfach so drin ist. Und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass das eben auch eine Verhandlungssache ist. Das verstehen die Leute heute vielleicht eher, weil sie Videokameras haben und den Weißabgleich machen müssen. Über solche Dinge wird ja nicht gesprochen, wenn man Bilder anguckt. Bei der Fotografie wird alles als gegeben hingenommen. Aber der Grund, warum man meine Fotos als meine Fotos erkennen kann, liegt ja darin, dass da etwas drin ist, was man nicht mal eben so mit Worten beschreiben kann, etwas, das das Hirn aber sofort erkennt: Das ist ein Tillmans-Bild! Genauso wie man ein Andreas-Gursky-Bild sofort erkennt oder eins von Mario Testino. Bei der Malerei gehen die Leute hingegen natürlich davon aus, dass alles, was sie sehen, vom Künstler entschieden wurde.
Bei dir denken viele Leute nach wie vor, deine Fotos seien super Schnappschüsse. Regt dich das noch auf?
Gegen Schnappschuss in der Definition, dass Menschen einen Schnappschuss von dem machen, was sie lieben und erinnern wollen, habe ich gar nichts. Aber Kritiker benutzen das Wort in einer degradierenden Weise, weil sie keine andere Sprache dafür haben. Dann ersetzt Schnappschuss andere Wörter wie: zufällig, belanglos, beiläufig und unüberlegt. Wenn jemand seine Freundin fotografiert, dann ist das ja weder beiläufig noch zufällig noch unüberlegt, das kommt aus einem ganz klaren Impuls. Insofern, wenn Menschen sagen: „Ich habe mich da total wieder erkannt!“ oder: „Dein Buch ist wie mein Fotoalbum!“, dann verstehe ich das als ein super Kompliment. Aber wenn Kritiker behaupten, meine Bilder wären nur Schnappschüsse, dann ist das einfach falsch.
Obwohl du dir inzwischen einen ziemlich unantastbaren Status erarbeitet hast, ist dir diese Empfindlichkeit erhalten geblieben.
Weil es mir um Wahrheit geht. Ich will damit nicht sagen, dass ich die Wahrheit kenne, aber dass mich Wahrheit interessiert. Wie ist es also möglich, dass verschiedene Leute dieselbe Situation völlig unterschiedlich beurteilen und das als Wahrheit ansehen? Oder wie ist es möglich, dass die Kamera etwas gelb sieht, wenn ich es doch weiß sehe? Diese Relativität von Wahrheit erfahre und verhandele ich ständig in meiner Arbeit. Und wenn ich mich dafür nicht interessieren würde, würde ich auch keine gute Arbeit mehr machen.
In London ist gerade die halbe Saatchi-Sammlung abgebrannt. Und irgendwo war einmal zu lesen, dass du dich immer dagegen gewehrt hast, von Saatchi gesammelt zu werden. Was war dein erster Gedanke, als du von dem Feuer gehört hast?
Sagen wir mal so: Natürlich habe ich erst mal gelacht, ist ja klar. Man hat immer eine Freude am Skandal. Aber man muss auch sagen, dass es nicht Saatchi war, was da abgebrannt ist, sondern Momart, die größte Kunstspedition Londons. Wofür ich richtiges Mitgefühl gehabt habe, ist ein Künstler namens Patrick Heron. Der ist vor zehn Jahren gestorben, und von dem sind 50 Bilder abgebrannt. Das ist die Hälfte seines Lebenswerks. Das ist tragisch. Dass die Hölle von den Chapman Brothers verbrannt ist, passt ja sogar, das ist Teil dieser ganzen Mythologie. Ich meine, für die lebenden Künstler ist das ja kein Problem, die können ja noch was anderes machen.
In der Süddeutschen Zeitung hieß es gleich, die 90er-Jahre der Kunstgeschichte müssten neu geschrieben werden …
Absurd!
Aber wenn du dich von Saatchi bewusst nicht sammeln lässt, muss die Frage erlaubt sein, gerade weil das hier in Deutschland gerade so heiß diskutiert wird …
… Warum ich mich von Flick sammeln lasse?
Genau.
Es ist so: Saatchi geht es meiner Meinung nach nicht um die Kunst. Der ist kein Sammler, sondern ein Händler. Er kauft Kunst, um damit zu handeln und sie wieder zu verkaufen. Und er hat sein Geld damit verdient, Hasskampagnen gegen die Labour-Partei zu produzieren. Das ist eigentlich mein Grund, warum ich gegen ihn bin. Nicht weil er ein Werber ist. Ich habe viele Sammler, die Werber sind. Aber Saatchi hat eben zwölf Jahre lang mit explizit gemeinen Kampagnen Thatcher unterstützt. Da habe ich immer gedacht: Das hab ich nicht nötig. Flick ist meiner Ansicht nach wirklich für die Kunst und hat die Sachen, um sich damit zu beschäftigen und um sie zu beschützen. Dieser Wertsteigerungsaspekt, der in den Medien immer gerne in den Vordergrund gerückt wird, ist bei jemandem, der eine Milliarde hat, wie ich glaube, irrelevant. Dass wir auf der Welt Superreiche haben, die mit allen möglichen Dingen ihr Geld verdienen, das ist ja eine Tatsache. Da sind mir echt die noch lieber, die das für Kunst ausgeben und unbequeme Gedanken zulassen und auch noch selbst denken.
Man kann ja auch nicht sagen, dass Flick ein Waffenhändler ist, der sein Geld für Kunst ausgibt. Das liegt dann ja doch zwei Generationen zurück.
Das kommt eben noch dazu. Was ich nicht ganz verstehe, ist, warum man diese Sammlung nicht auch einfach „Friedens-Sammlung“ nennen kann. Warum auf diesem Namen beharren, der für viele Leute ein rotes Tuch ist? Aber auf der anderen Seite finde ich das auch wieder okay, denn alles andere wäre ja Sippenhaft. Der Mann wird in Sippenhaft genommen, weil er so einen symbolträchtigen Namen hat. Das finde ich problematisch, dass sich die Leute so extrem an Symbolen aufhängen. Zum Beispiel, dass die Degussa nicht die Farbe für das Holocaust-Denkmal liefern soll, aber dass Lea Rosh in ein Mercedes-Taxi steigt und das dann plötzlich kein Problem ist. Jedes Mercedes-Auto, das wir hier fahren, alles, ist ja irgendwie nach sechzig Jahren noch …
… geschichtlich kontaminiert.
Genau. Also dass Herr Filbinger lieber nicht den Bundespräsidenten hätte wählen sollen, das finde ich absolut eindeutig, da muss man nicht drüber diskutieren. Aber Leute allein wegen ihres Namens zu problematisieren, finde ich gemein. Besonders böse ist der Herr Flick nun nicht.
Es scheint, als sei in den letzten Jahren dein Interesse am Clubleben wiedererwacht. Immerhin warst du der einzige Mensch, der jemals im OstGut fotografieren durfte.
Dass die Dinge irgendwann historisiert werden, daran finde ich großartig, dass sie damit einfach gesichert sind. Diese ganze Techno-Szene ist ja mittlerweile auch durch viele andere Künstler in die Kunstgeschichte eingeschrieben. Und was das Ausgehen angeht: Ich habe in den letzten zwei, drei Jahren eine Renaissance im Nachtleben erlebt. Und das OstGut war natürlich ein Ausnahmezustand, den man einfach faszinierend finden musste. Etwas Vergleichbares hat es ja auch historisch noch nicht so oft gegeben, vielleicht noch nie.
Diese OstGut-Bilder sind ja in einer Zeit entstanden, in der du auch sehr viel in Kirchen fotografiert hast. Das wirkt so, als ob es für dich ein und dasselbe wäre: die Sinnsuche durch Religion und die Sinnsuche auf einer Technoparty.
Das habe ich immer so wahrgenommen. Auf einem Kirchentag mit tausend Leuten gemeinsam zu singen habe ich immer mit dem Gefühl, auf Ecstasy im Club zu tanzen, vergleichbar empfunden.
Hast du mal auf einem Kirchentag gesungen?
Ich gehe seit 1983 jedes Mal auf den Kirchentag, mit Ausnahme von 1997 und 1999. Ich bin schon gläubig. Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber wenn man diesen Coolheits-Stolz nicht hat, wenn man die Dinge mal für das sieht, was sie sind – also dass alle Menschen gleich sind und alle ein gleiches Recht auf Glück haben –, dann müsste es einem einleuchten, dass das alles nicht so weit voneinander entfernt sein kann.
Wie darf man sich das vorstellen? Du gehst in London am Donnerstagabend noch schick essen und denkst: Mensch, morgen muss ich aber nach Stuttgart, da ist Kirchentag!
So in etwa. Letztes Jahr, als ich die große Ausstellung in der Tate installiert habe, habe ich das zum Beispiel so gedreht, dass ich rechtzeitig fertig war, um vier Tage vor der Eröffnung noch mal kurz nach Berlin zu fahren, um zum Kirchentag zu gehen. Danach bin ich dann wieder nach London gefahren und hab da die größte Ausstellung meines Lebens eröffnet. Der Kirchentag ist halt irgendwie so eine Wurzel, die 23 Jahre zurück in meine Sozialisation führt.
Familiär bedingt?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin in so einer sozialistischen Kirchengemeinde groß geworden. Für mich war Kirche nie etwas Einengendes und Schlimmes. Für mich war die Kirche befreiend. Die evangelische, westdeutsche, jugendliche Kirche in den 80ern war ja eine der Geburtszellen der Friedensbewegung, der Gleichberechtigung und von vielen anderen Dingen, die gut sind.
Wie kommst du mit diesem Background eigentlich damit klar, dich in London in so einer totalen Promi-Bussi-Gesellschaft zu bewegen?
Das stimmt so gar nicht, ich habe einen ganz normalen Freundeskreis, der nicht in den Klatschkolumnen ist. Aber ja, man hat eben überall die Wahl. Man wird ja erst zu einer Celebrity durch die Wiederholungstat. Erst wenn man etwa zehnmal im Jahr abgebildet wird. Und ich wurde halt ein paar Mal auf so Klatschseiten abgebildet. Das ist eine Weile lang auch camp und lustig und komisch und debil. Aber dann muss man eben die Wahl treffen. Die Leute von der I.D. würden mich zum Beispiel jede Ausgabe zu irgendwas befragen. Ich bin denen ja schon sehr verbunden, aber ich sage auch mal: Ich mache das nicht. Als Leni Riefenstahl gestorben ist, da bin ich auch von zwei Redaktionen aus Deutschland angerufen worden, ob ich einen Kommentar abgeben kann. Da musst du dann entscheiden. Wenn du es machst, wirst du irgendwann zu Wolfgang Joop.
„Freischwimmer“, bis 14. August, Galerie neugerriemschneider, Linienstr. 115, Di.–Sa. 11–18 Uhr