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Archiv-Artikel

Grüne: Keine Lust auf Alternative

Wie die Umfragewerte so die Angst vor einer neuen Linkspartei. Teile der gebeutelten SPD sorgen sich, die umfrageverwöhnten Grünen dagegen geben sich gelassen

BERLIN taz ■ Gibt es jenseits der Schröder’schen Reformagenda noch Handlungsmöglichkeiten für Linke? Lässt sich die Politik „sozialer“ gestalten, als es die rot-grüne Bundesregierung tut? Das sind die Fragen, über die zurzeit gestritten wird – vor allem zwischen SPD-Spitzenpolitikern und den Gewerkschaftsfunktionären. Beide Seiten wollten sich gestern Abend bei einem Treffen im SPD-Gewerkschaftsrat wenigstens um eine Verbesserung des Klimas bemühen. Dazu passend, ließ Kanzler Gerhard Schröder versichern, er werde trotz der Attacken von Ver.di-Chef Frank Bsirske („die Regierung hat versagt“) Mitglied in der Dienstleistungsgewerkschaft bleiben. Doch damit dürfte es nicht getan sein: Nachdem einige Gewerkschafter und andere Linke am Wochenende eine „Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ gegründet haben, droht den von Wahlpleiten und miesen Umfragen gebeutelten Sozialdemokraten auch noch parteipolitische Konkurrenz von links.

Das Projekt der linken Reformkritiker sorgt in der SPD weiter für Aufregung. Parteivize Kurt Beck sieht darin „temporär eine Gefährdung der SPD, Mehrheiten bilden zu können“. Vizekollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul warnte gar, dass eine solche Organisation die Sozialdemokratie zersplittern könnte. Lediglich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gab sich gelassen. „Das, was sich dort auf der linkesten Linken tut, ist nicht mein Problem, und das hat auch keinerlei Chance“, teilte Clement mit.

Die Grünen haben sich aus der Auseinandersetzung zwischen SPD und Gewerkschaften bisher herausgehalten – wenn man einmal davon absieht, dass Bsirske immer noch über ein grünes Parteibuch verfügt. Die von Umfragen verwöhnten Grünen fühlen sich offensichtlich nicht tangiert. Auch dass es bald neue Parteibücher geben könnte, nämlich einer Linkspartei, die aus der „Wahlalternative“ hervorgehen könnte, ficht die Chefs der grünen Partei nicht an, deren Vorgänger einst, vor vielen Jahren, selbst als Alternative zu den „Altparteien“ angetreten waren.

Die Gründungsversammlung der Linksrebellen sei im Grünen-Vorstand gestern kein Thema gewesen, erklärte Parteichef Reinhard Bütikofer. Auf Nachfrage sagte er zum Start der „Wahlalternative“, es sei „erst mal ein demokratisches Recht“, über eine Parteineugründung nachzudenken. Er habe aber „gar keine Lust“, so Bütikofer, „selber einen gewissen Medienhype zu befördern“. Aus seiner Sicht war es nämlich so, am Wochenende in Berlin: Da hätten sich „dreißig enttäuschte Gewerkschafter getroffen“. Und Presse, Funk und Fernsehen hätten „nichts anderes zu tun gehabt“, als diesen Vorgang ausführlich zu kommunizieren und zu kommentieren. Die Bedeutung der „Wahlalternative“ hält er für „überschätzt“. Wenn daraus tatsächlich eine politische Konkurrenz entstehen sollte, „werden wir sie annehmen“, sagte Bütikofer. Aber: „Bis jetzt kann ich da relativ wenig politische Innovation erkennen.“

Auf das Programm der möglichen Linkspartei ging der Grünen-Chef nur indirekt ein. Bei denen, die eine Reform der Erbschaftssteuer fordern, wolle er „um ein Minimum an Realismus werben“, sagte Bütikofer und gab zu bedenken, dass ein entsprechender Vorstoß der rot-grünen Regierung Schleswig-Holsteins im Bundesrat gescheitert sei – an der Mehrheit der Union. Rot-Grün an diesem Punkt Tatenlosigkeit vorzuwerfen, sei deshalb unfair. LUKAS WALLRAFF