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Archiv-Artikel

Peer Gynt: König, Kaiser, Aufschneider

Moks, die Deutsche Kammerphilharmonie und Bremer Schüler spielen ein Stück über die Suche nach dem Selbst

Strahlend springt Peer Gynt auf die Bühne: Er ist ein Prachtkerl und sogar eine eigene Musik wurde für ihn komponiert. Schon erklingt die Peer-Gynt-Suite und auf Peers Geste hin schweben fünf Musiker wie von Zauberhand vom Bühnenuntergrund auf die Bühne. Peers Höhenflug zerstiebt: eine Bande Jugendlicher, angeführt vom virilen Aslak, verspottet und quält ihn und konfrontiert ihn mit den kläglichen Fakten: der Vater ein Säufer, die Mutter meschugge und er ein Aufschneider. Was aber heißt das? Wer ist Peer Gynt – und wenn ja, wie viele?

Bei „Ich, Peer Gynt“ sind viele Kooperationspartner beteiligt. Das Moks, verstärkt durch zwei Schauspieler vom Schauspielensemble, setzt seine Zusammenarbeit mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen fort. Diese besteht nun nicht darin, dass die fünf Musiker live spielen, sie sind Teil des Geschehens, sie spielen mit. Ganz besonders aber ist, dass bei dieser Produktion ein Kurs Darstellendes Spiel beteiligt ist: 25 Schüler aus dem 11. Jahrgang des Alten Gymnasiums. Sie spielen dabei mit so großer Spielfreude und Präzision, dass man immer den Eindruck hat, einem Ensemble zuzuschauen.

„Ich, Peer Gynt“ ist ein Stück über die Suche nach der eigenen Identität. Henrik Ibsens Drama ist in der Adaption vom Moks durchaus zu erkennen, die norwegischen Berge samt Rentier und Trolle kommen vor und auch Peer Gynts Reise in den Orient. Die Fragen und Phantasien, die Peer Gynt umtreiben, richtet der Regisseur Michael Talke aber an Jugendliche von heute. Der Auftritt von Aslak und seiner Jugendbande hat nichts Folkloristisches, man ist unmittelbar in unserer Welt und auch die Sprache ist ganz von heute, knapp und rotzig. Wenn aber Peer Gynt anfängt zu träumen und sich in seinen Allmachtsphantasien verliert, redet er plötzlich in Reimen und langen, melodischen Bögen – ein Sprachwechsel, der ganz wie nebenbei die verschiedenen Facetten von Peers Identitäten beleuchtet.

Mit viel Witz wird Peer Gynts Suche nach seinem Selbst erzählt, sehr komisch ist der Versuch der Trolle, ihn zu ihresgleichen zu machen. Berührend hingegen die alte Mutter, die nur zu gerne all die Märchen glauben möchte, die ihr Sohn ihr auftischt. Aber nicht nur die Träume von Peer werden als Selbst-Täuschung entzaubert, auch das Spiel auf der Bühne. Ungerührt zieht Solveig den Bühnenvorhang weg: Nicht auf den Bergen küssen sich Peer und Ingrid, sondern auf einer Leiter. Auch die Liebe ist nur ein Spiel, da ist Peer entschieden rücksichtslos. Am Ende rettet ihn, wie immer im Märchen, aber einzig die Liebe. Und wenn dann ganz kitschig ein riesiges, rot blinkendes Herz auf die Bühne schwebt, ist man selbst ganz beseelt. C. Spiess