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Archiv-Artikel

Durchgeknallte Fleischesser

„Zeit“-Herausgeber und „Stern“-Reporter im Visier staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Leser war über Kannibalen-Bericht entsetzt. Auch Presserat ist befasst

Die Rechtsabteilungen der Hamburger Medienhäuser bekommen in den nächsten Tagen wieder Arbeit. Sowohl bei der Zeit am Speersort als auch beim Verlag Gruner&Jahr am Baumwall müssen sich die Hausjuristen mit aktuellen rechtlichen Attacken beschäftigen. Zeit-Herausgeber und Chefredakteur Michael Naumann droht ein Verfahren wegen Verleumdung, zwei Reporter des Gruner&Jahr-Flaggschiffs Stern sind wegen Gewaltverherrlichung angezeigt worden.

Naumann droht Unbill, weil er im Zuge der Affäre um TV-Moderator Michel Friedman den ermittelnden Berliner Generalstaatsanwalt, Hansjürgen Karge, als „offenkundig durchgeknallten Staatsanwalt“ bezeichnet hatte. Daraufhin hatte Naumann sich Anzeigen der Berliner Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) und von Karge selbst wegen Beleidigung eingehandelt. Die Berliner Anklagebehörde überlegt nun, das Verfahren auf den Tatbestand der Verleumdung auszuweiten. Da Naumann kritisiert hatte, Karge habe gleichzeitig ein Ermittlungsverfahren gegen Friedman eingeleitet und die Presse informiert, habe Naumann dem Staatsanwalt die Verletzung von Dienstgeheimnissen unterstellt. Dies will sich die Berliner Anklagebehörde nicht gefallen lassen.

Gegen den Stern ermittelt derweil die Hamburger Staatsanwaltschaft, wie ihr Sprecher Rüdiger Bagger am Wochenende bestätigte: „Ein Anfangsverdacht ist gegeben“, teilte Bagger gegenüber Spiegel Online mit. Die Illustrierte hatte in ihrer Ausgabe der Vorwoche mit dem so genannten Rotenburger Kannibalen aufgemacht. Ein Leser sei wegen der in der Titelgeschichte auftauchenden „grausigen Details“ so entsetzt gewesen, dass er Strafantrag gegen die Autoren gestellt habe.

Die Stern-Journalisten Martin Knobbe und Detlef Schmalenberg hatten den Fall des 41-jährigen Martin M. aus dem osthessischen Rotenburg akribisch geschildert. M. muss sich wegen Mordverdachts vor Gericht verantworten, weil er im Jahr 2001 angeblich einen 42-jährigen Berliner vor laufender Kamera getötet und dann einzelne Leichenteile gegessen haben soll.

Nach dem Strafgesetzbuch ist das Veröffentlichen „grausamer oder unmenschlicher Gewalt verboten, wenn sie verharmlost oder verherrlicht wird“. Gleichzeitig gingen wegen des Stern-Berichts auch beim Deutschen Presserat zwei Beschwerden ein.

Der Stern hat bisher lediglich den Eingang der Anzeige bestätgit. Eine Stellungnahme wollte Gruner&Jahr aber noch nicht abgeben. PETER AHRENS