: Von der Dialektik des Stillstands
Die Bremer große Koalition und totalitäre Tendenzen? Quatsch, möchte man meinen. Kein Quatsch, sagt der Bremer Philosoph Bernd Oei. Er erklärt, wie beides zusammenfindet – im starken Verlangen nach der großen politischen Stabilität im Land
taz ■ Leider waren sie nur zu dritt, an jenem Abend im Frühsommer, als der Bremer Philosoph Bernd Oei über „Die große Koalition und die Rechte der Beiräte“ sprach. Im September soll die Veranstaltung wiederholt werden – mit gutem Grund: An der Macht der großen Koalition und der Ohnmacht der Beiräte lässt sich viel lernen, längst nicht nur Bremisches. Daran, dass zur ersten Veranstaltung außer dem Veranstalter und dem Referenten gerade mal ein Interessierter kam, lässt sich auch viel lernen: dass Philosophen immer noch den Ruf haben, zur Lage der realen Dinge wenig beitragen zu können. Ist das so? Bernd Oei im taz-Interview.
taz: Was für einen philosophischen Aspekt gibt es denn an der großen Koalition in Bremen? Bernd Oei: In Amerika tut sich einiges. So bei Susan Sontag oder Martha Nussbaum, bei Richard Rorty oder John Rawls –sie alle werden in Kommissionen eingeladen und beteiligen sich an der Diskussion. Beispiel Schulpolitik: Eines der Nussbaum-Argumente lautet: Wie sollen wir Menschen zur Demokratie erziehen, wenn die Schulen nicht demokratisch organisiert sind? Natürlich kann man einen Sechsjährigen nicht wählen lassen, was er gerne möchte, aber man kann die Menschen ihrem Alter gemäß Schritt für Schritt immer mehr in den Unterricht einbeziehen. Dieser Gedanke kommt hier in Bremen zwar im Koalitionsvertrag vor – von „mehr Eigeninitiative, mehr Förderung der individuellen Fähigkeiten“ ist da die Rede – aber auf dem Papier klingt es besser als es in der Praxis durchführbar ist.
Das, was Sie jetzt sagen, haben doch andere auch schon festgestellt – wozu braucht es dafür einen Philosophen? Das war ja jetzt ein Beispiel, um klarzumachen, dass Philosophen nicht nur weltfremde Menschen sind, die über das Sein und das Nichtsein spekulieren, sondern auch pragmatische Gedanken äußern. Wie gesagt, das ist vor allem in den USA längst üblich. Hier leider noch nicht. Hier ist es immer noch relevant, was seit Platon gilt: dass Philosophen sich aus der Politik heraushalten sollen, denn – überspitzt gesagt – sie seien dafür viel zu klug.
Eine Haltung, die viele Leute haben, obwohl sie längst nicht immer Philosophen sind. Das ist ja das Problem. Nicht nur die Philosophen dürfen sich nicht in ihren Elfenbeinturm zurückziehen. Auch für die Politik gilt, dass hier eine Grundmoral zurückkehren muss. Oft wird in der Politik kurz- und mittelfristig Schlechtes in Kauf genommen, um langfristig Gutes zu erreichen. George Bush und der Irak-Krieg sind da das klassische Beispiel, wenn man den Öl- und Einfluss-Komplex mal beiseite lässt. Das aber ist für mich nicht zu akzeptieren: Der Zweck heiligt nie die Mittel.
Wer wäre denn der Bush von Bremen? Auf Personen möchte ich mich gar nicht festlegen, aber allgemein scheint es so, als wenn SPD und CDU sich nicht mehr wesentlich unterscheiden. Es scheint lange vorher klar, welche Konzepte durchgehen und welche nicht. Die Beiräte können nicht wirklich Einfluss nehmen. Sie können ihre Meinung sagen, aber das ändert wenig. Der Eindruck der letzten Jahre war: Es stagniert. Wir nennen das die Dialektik des Stillstands.
Da fragt sich der Philosoph doch bestimmt nach dem Sinn von Demokratie. Durchaus. Wenn man eine richtige Demokratie will – da zitiere ich Hannah Arendt oder Michel Foucault – müsste man Menschen wirklich einbeziehen. Eine echte Verbindlichkeit herstellen. Wir aber haben Institutionen, eine unglaubliche Administration. Ganz oft fehlt der persönliche Kontakt zwischen denen, die entscheiden, und denen, für die entschieden wird. Man kann diesen Kontakt nur herstellen, in dem Politik auf lokaler Ebene heruntergebrochen wird.
Genau das passiert doch in den Beiräten. Nur dass ihre Beschlüsse über sie selbst nicht hinauswirken. Das scheint ja vom System gewollt. Hannah Arendt und andere sagen da: Macht erhält sich selbst. Das zielt tendenziell auf Totalität ab. Es gibt Systeme wie die Diktatur, da ist das offenkundig. In anderen wird diese Tendenz moderat aufgefangen. Aber sie ist trotzdem da. Und das hat auch was mit den Menschen selbst zu tun: Auch wenn sie sich noch so liberal geben, wünschen sich die meisten Orientierung. Früher haben sie nach dem starken Führer gerufen, heute nach der großen Stabilität. Insofern ist es kein Zufall, dass sich immer wieder die großen Parteien konsolidieren. Und so kommt es, dass man zu einer großen Partei gehören oder ihr nahe stehen muss, wenn man in bestimmten Laufbahnen Karriere machen möchte.
Interview: Susanne Gieffers