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Archiv-Artikel

Tanz der Vampire

Das „Theaterdock“ der Kulturfabrik in Moabit holt Strindbergs „Gespenstersonate“ aus der Versenkung

Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Wenn sich die großen Theater allmählich in die Ferien verabschieden, dann schlägt im freien Theater die Stunde der Klassiker. Dann feiern Schauspieler, wie aus einem langen Winterschlaf erwacht und unbeirrt von Diskursen oder Regiekonzepten, die Texte der Theaterliteratur.

Strindberg kann man so wiederbegegnen, im Theaterdock der Kulturfabrik Lehrter Straße. Geografisch gesehen, ist es nicht weit von Mitte nach Moabit – was aber die Preise für Getränke angeht und den Zustand der alten Fabrikräume, kann man sich zurückversetzt fühlen in die Nischen-Kultur der Achtzigerjahre.

Die Inszenierung der „Gespenstersonate“ von Regisseur Peter Borucki nutzt geschickt einen schmalen Raum und lässt die Begegnung der Gespenster zwischen den Zuschauern stattfinden. Von keiner der Figuren, die sich zu einem Mahl versammeln, ist ganz sicher, ob sie sich wirklich noch unter den Lebenden befindet. Sie sind in merkwürdigen Zeitschleifen gefangen und gezwungen, die immer gleichen Dinge zu wiederholen.

Vieles in ihrer Existenz hat seine Vorzeichen verkehrt: Den Auftritt der Köchin zum Beispiel beobachtet die Tochter des Hauses mit Grausen, denn von deren Mahlzeiten wird man hungrig statt satt. Alle Dialoge kreisen um die Vergangenheit und keine zwei Erinnerungen stimmen überein.

Motor der Geschichte ist der Versuch einer Rache: Doch der Rächer, der sich von einer Familie betrogen glaubt, entpuppt sich selbst als der schlimmste Verbrecher. Dieser Blick hinter den falschen Schein einer bürgerlichen Fassade ist typisch für den Symbolismus Strindbergs: Einerseits werden die emotionalen Kosten einer kapitalistischen Karriere verhandelt, andererseits rücken mystische Bilder an die Stelle rationaler Erklärungen.

Der Inszenierung gelingen schöne Momente – etwa wenn der Tisch, an dem die an der Vergangenheit Beteiligten eben noch miteinander abrechneten, sich in einen Katafalk verwandelt, auf dem die nächste Generation ihre Liebe wie ein Opfer für ihre Vorfahren zelebriert.

Doch wenn wie ein Spuck plötzlich alles vorbei ist, merkt man, wie fremd einem die Figuren bleiben. Sie nähern sich uns nicht aus ihrer gespenstischen Ferne, sie sind ungefährlich. Nach dem nächsten Bier hat man sie wieder vergessen.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Gespenstersonate“, Theaterdock, Lehrter Str. 35, 7.–10. Juli, 19.30 Uhr