: Das Hemdchen mit der Zehn
Andrés D’Alessandro, der spektakulärste Neuzugang der Bundesliga, lässt beim 3:2 seines VfL Wolfsburg gegen den VfL Bochum ahnen, dass von ihm noch große Taten zu erwarten sind
aus Wolfsburg MATTI LIESKE
So ganz hatte Jürgen Röber nicht aufgepasst, was sein neuer Superstar auf dem erhitzten Rasen des schnuckeligen Wolfsburger Stadions vollführte. „Eine gute Leistung“, bescheinigte der Wolfsburger Trainer dem Argentinier Andrés D’Alessandro bei dessen Bundesligadebüt, „er hat zwei Tore vorbereitet.“ In Wahrheit waren es drei. Bei allen Treffern zum 3:2-Sieg des VfL Wolfsburg spielte der 23-Jährige jeweils den vorletzten Pass, tat also schon genau das, wofür ihn der neuerdings aufstrebende Klub dank gütiger Mithilfe des VW-Konzerns geholt hatte.
Jahrelang hatte man sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass die Volkswagen AG lieber auf ein Comeback von Eintracht Braunschweig und damit eines lukrativeren Fußballstandortes in der Region wartete, als sich für den Erstligisten aus der Autostadt ins Zeug zu legen. Der hielt sich im Wesentlichen mit der Verpflichtung von preisgünstigen, aber technisch begabten Leuten über Wasser, die sonst keiner mehr wollte – von Reyna über Munteanu und Ponte bis Effenberg – und fuhr damit ganz gut. Inzwischen hat man sich jedoch auch bei VW damit abgefunden, dass Braunschweig unten, der VfL aber hartnäckig oben bleibt, und beschlossen, ein wenig mehr zu tun, sprich: den Etat aufzustocken und geballte Wirtschaftsmacht in fußballerische Qualität zu verwandeln. Unter Beihilfe der argentinischen VW-Filiale wurde eine Kooperation mit River Plate in Buenos Aires auf die Beine gestellt, welche die Verpflichtung des von diversen europäischen Großklubs umworbenen D’Alessandro zum Schnäppchenpreis von neun Millionen Euro ermöglichte.
Von Fußballfieber ist in Wolfsburg aber auch nach diesem spektakulären Transfer wenig zu spüren. Gerade mal halb gefüllt war das Stadion zum Saisonauftakt, trikotmäßig wurde die überschaubare Fanszene noch klar von der Effenberg-Zehn dominiert, nur vereinzelt schwitzten innovationsfreudige Anhänger bereits D’Alessandro-Hemdchen durch.
Wie ein Hemdchen wirkt auch der Spieler selbst, was es den Bochumern leicht machte, ihn ein wenig herumzuschubsen und zu einigen prekären Ballverlusten zu verleiten. „Schwierig“ sei es gewesen, sagte der schmächtige Argentinier hinterher, und fügte so höflich wie möglich hinzu, dass man leider zu wenig „den Ball kontrolliert“ habe. Dabei hatten die Wolfsburger vor allem zu Beginn den Argentinier durchaus gesucht, wie es ihnen der Trainer wohl befohlen hatte, und demonstriert, wie ihr neues System aussehen könnte. „Unser Spiel ist variabler geworden“, findet Pablo Thiam, „weil sich viele auf den neuen Zehner konzentrieren.“ Tatsächlich war D’Alessandro meist von zwei bis drei Bochumern umringt, schaffte es aber trotzdem zunächst, die freien Mitspieler zu finden und sich für seine gediegenen Pässe und Schüsse Szenenapplaus des Publikums sowie ein wohlwollendes Lächeln seiner Mama auf der Tribüne zu verdienen. „Man hat gesehen, was für ein großartiger Fußballer er ist“, lobte ihn auch der Trainer.
Nach der schnellen und fast mühelos herauskombinierten 2:0-Führung gegen bis dahin überaus zahme Bochumer wurde aber plötzlich „aufgehört, Fußball zu spielen“, wie Röber anschließend bemängelte. „Wir wollten uns ein bisschen zurückziehen“, erklärte Thiam, „aber das können wir noch nicht, kontrollierte Defensive spielen, ohne dem Gegner viel zuzulassen.“ Krasse Abwehrfehler, vor allem von Biliskov, der „völlig von der Rolle“ (Röber) war, taten ein Übriges, um Bochum den Ausgleich zu ermöglichen. Nur ein Abseitstor von Petrow brachte den Gastgebern schließlich den ebenso glücklichen wie wichtigen ersten Sieg in dieser Saison. „Wenn du das nicht gewinnst und dann nächste Woche noch in Dortmund verlierst, heißt es gleich Fehlstart“, weiß Pablo Thiam.
„D’Alessandro wird uns nicht allein nach oben bringen“, kritisierte Jürgen Röber anschließend die mangelhafte Unterstützung für den neuen Mann, an dem das Spiel vor allem in der zweiten Halbzeit oft vorbeilief. Wie ein in der Jahreszeit getäuschter Eiskunstläufer beim Warm-up kreiselte der Argentinier durchs Mittelfeld, lief sich immer wieder frei, bekam aber nur selten den Ball. Stattdessen bolzte der rustikale Schnoor die Kugel weit nach vorn, wo Stürmer Klimowicz ihr meist vergeblich nachjagte, oder der Ex-Cottbuser Topic verwirrte mit seinen Sololäufen in bewährter Manier Gegner, Mitspieler und nicht zuletzt sich selbst. „Wenn ich einen Mann wie Andrés habe, der die Bälle fordert, dann muss ich Fußball spielen“, erläuterte Röber seine Vorstellungen, „nicht bloß hinten quer und dann lange Dinger auf Klimo.“
Die Ansätze waren jedoch vorhanden, und drei Assists zum Auftakt können sich ohnehin sehen lassen. Entsprechend fiel auch das Fazit aus, das Andrés D’Alessandro von seinem ersten Bundesligatag zog: „Ich bin zufrieden.“ Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass in Wolfsburg sehr bald, wenn die Nummer zehn erwähnt wird, niemand mehr an einen gewissen Stefan Effenberg denkt.