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Archiv-Artikel

Ehrenamtlich zur Kirchweih-Keilerei

Genau richtig deftig: Verden verarbeitet bei den Domfestspielen seine Vergangenheit in der historischen Posse „Liebesleid und Mauerstreit“

„Ach Roderick“ seufzt die Bürgermeisterstochter Johanna vom Balkon hinab und die Liebe kocht im romantischen Dialog wie „glühende Lava“. Doch sie sollen zueinander nicht kommen, die Mauer ist viel zu hoch. Norderstadt und Süderstadt sind verfeindet – da hört man auch schon den einbeinigen Nachtwächter nahen, und Domschüler Roderick muss schleunigst wieder auf seiner Leiter zurück in die Süderstadt klettern. Doch – ach! – es hilft alles nichts: Die beiden Liebenden werden gefasst und zum Tode verurteilt. Der Scharfrichter schwingt bald sein Beil, dabei sollte doch „Hymnenblut statt Richtblocksblut“ fließen!

Shakespeare lässt heftigst grüßen, aber dies versucht Gabriel Reinking, der Autor und Regisseur von „Liebesleid und Mauerstreit“, auch gar nicht zu kaschieren. Immerhin wird hier im Schatten des Domes so etwas wie ein Gründungsmythos der Stadt Verden auf die Bühne gebracht: „Liebesleid und Mauerstreit“ spielt in den Jahren kurz nach dem 30-jährigen Krieg, und damals lagen anstelle des schmucken Verdens die Norderstadt mit Dom und Geistlichkeit und die Süderstadt, in der Händler und Handwerker ihre Geschäfte hatten.

Der Zank und Streit zwischen beiden Gemeinden ist historisch belegt, und Gabriel Reinking hat aus den Vorkommnissen aus dieser Zeit eine „historische Posse“ gebastelt, zu dessen Happyend die schwedische Königin Christine sowohl Roderick und Johanna wie auch Norder- und Süderstadt „an Tisch und Bett“ zusammenbringt und der so zwangsvereinigten Stadt den Namen Verden verpasst.

Reinking hat auf dem Festspielplatz hinter dem Dom einen deftigen Schwank inszeniert, genau das Richtige für eine Aufführung unter freiem Himmel mit Zuschauern, die auf das Spektaktel mit „historischen“ Getränken und Gerichten eingestimmt wurden. Da reißen die Wäscherinnen Zoten über die Mannhaftigkeit der schwedischen Soldaten, eine (politisch heutzutage nicht mehr korrekte) Hexe „Sübel“ suhlt sich in Intrigen und boshaftem Gekicher, und die stürmische Bootsfahrt der beiden Bürgermeister zum Rapport bei der schwedischen Königin ist ein köstliches Gewackel im Stil der Augsburger Puppenkiste mit viel Blitz, Donner und Seekrankheit.

Stilistisch läuft das Stück nur einmal aus dem Ruder: Wenn der machtgeile Bürgermeister der Süderstadt die Ratsversammlung mit einem „Wollt ihr die totale Moral?“ aufheizt, gibt das einen allzu bequemen Lacher, über denn man streiten kann.

Aber mit einer allzu scharfen Kritik des Stückes macht man sich nur lächerlich, denn bei dieser Veranstaltung geht es ja um etwas ganz anderes: Ganz Verden scheint mitzuspielen! Von ein paar Profis auf und hinter der Bühne abgesehen, haben die Mitglieder des „Verdener Domfestspiele e. V.“ das Spektakel ehrenamtlich auf die Beine gestellt. Birgit Scheibe, die die Königin Christine mit einem schön kantigen Akzent und einigen Anleihen bei Greta Garbo verkörpert, arbeitet etwa als Kreisoberinspektorin, die böse Hexe Sübel ist sonst die adrette Justizfachwirtin Thekla Wortmann und der Stadtarchivar Björn Emigholz spielt auf der Bühne den (hoffentlich doch historisch belegten) Ratsherrn von Kotze.

Dazu gibt es 120 LaiendarstellerInnen, die in einigen sehr vergnüglichen „Massenszenen“ auftreten: Beim Streit auf der Kirchweih gibt es sogar eine zünftige Keilerei und spätestens zu diesem Zeitpunkt beschleicht einen das Gefühl, dass die Spielenden mindestens so viel Spass an dem Spektakel haben wie die Zuschauer. Wilfried Hippen

Die Verdener Domfestspiele finden noch bis zum 17.8. statt. Karten gibt es allerdings nur noch für eine Zusatzaufführung am Donnerstag, den 14.8., unter ☎ 0421 / 36 36 36