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Archiv-Artikel

Fischbeinstäbchen in der Kieler Förde

Der Finnwal ist das zweitgrößte Säugetier der Welt, frisst nur kleine Tierchen und gehört zu den gefährdeten Arten

Was hat sich das Tier mit dem schnittigen Spitznamen „Windhund der Meere“ nur dabei gedacht, in der Pfütze Ostsee zu plantschen? Der Balaenoptera physalus hat dort nichts zu suchen, denn eigentlich meidet er die Küstenregionen. Wie seine fünf Vettern aus der Familie der zahnlosen Furchenwale wandert der Finnwal im Frühjahr zu den Eismeeren der Polarzonen und zieht im Herbst in die wärmeren Gewässer der Weltmeere. Er ist dabei allerdings etwas weniger mobil als die anderen Familienmitglieder. Vielleicht muss er aber auch nicht so viel denken, denn bei ihm macht es die Masse. Er ist hinter dem noch mächtigeren Blauwal das zweitgrößte Tier der Erde, wird bis zu 26 Meter lang und erreicht ein Gewicht von 80 Tonnen. Die kann er mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Stundenkilometern über eine Tagesstrecke von bis zu 300 Kilometern bewegen.

Möglicherweise war es der neuen Ostseetouristenattraktion am Mittelmeer einfach zu heiß. Der dortige Bestand wird immerhin noch auf zwischen 3.000 und 7.400 Tieren geschätzt. Normalerweise bevorzugt der Finnwal kältere Gefilde. Er ernährt sich von Kleinkrebsen, frisst aber, anders als der Blauwal, der sich auf Krill beschränkt, auch kleine Fische. Die Färbung des Tiers ist extravagant asymmetrisch – der Rücken links dunkler als rechts, aparte weiße Flecken am Bauch und der Unterseite von Flipper und Fluke – so heißen die Flossen bei Walen nun mal zoologisch korrekt – und manchmal ein elegantes weißes Dreieck im Nacken. Der Kopf ist ebenso unterschiedlich gefärbt wie der Rücken, diesmal rechts auffällig weiß, links grau. Seine Essweise ist ebenso effektiv wie ausgefallen. Er trägt im Maul mehrere hundert so genannte Barten, lange Hornplatten, die an beiden Seiten des Oberkiefers herabbaumeln. Er reißt das breite Maul auf, bläht die Kehle wie eine Schöpfkelle auf und durchschwimmt Krebs- und Fischschwärme, filtert das Wasser heraus und frisst, was hängen bleibt, wie aus einem Sieb, dessen Inhalt er mit der Zunge in den Magen schaufelt. Schluss also mit der christlichen Legende von Jonas, der im Bauch des Wals überlebte. Er hätte gar nicht erst durch die Barten gepasst.

Der Finnwal heißt anderswo auch finback, finner, razorback oder herring whale. Die Walfangindustrie hat seiner Spezies gründlich zugesetzt. Er wurde nicht nur zu Tran verarbeitet, seine Barten dienten den Damen als Fischbeineinlage für die Schnürleibchen. Heute gilt er als stark gefährdete Art. Der Bestand wird weltweit auf unter 100.000 Tiere geschätzt.

Außer der Jagd machen dem Finnwal auch Schadstoffe zu schaffen. Im Januar 1995 wurde ein Tier beim Sylter Nordseeheilbad Wenningstedt an den Strand geschwemmt. Es war durch Umweltgifte orientierungslos oder sonstwie krank geworden. In seinen Speckpolstern fanden sich extrem hohe Mengen von Schadstoffen. Der nächste landete im Juni 2001 tot bei Hörnum.

Und zum Schluss, obwohl das eigentlich nun wirklich längst alle wissen sollten: Der Wal als solcher ist kein Fisch, sondern ein Säugetier. Und was ist nun eine Finne? Nein, in diesem Fall keine Bewohnerin des skandinavischen Nordens, keine Bandwurmlarve und auch kein Gebirgszug in Thüringen, sondern seemännisch die Rückenflosse von Walen und Haien. Und die ist beim gleichnamigen Wal relativ klein geraten. HEIDE PLATEN