HYUNDAI-CHEF BEGEHT SELBSTMORD – ER IST OPFER EINER TRAURIGEN JAGD
: Schwieriges Erbe

Muss die Welt in kollektive Trauer verfallen, wenn sich ein südkoreanischer Industriemagnat aus Angst vor dem Richter vom zwölften Stock seines Büroturms in den Freitod stürzt? Nein, muss sie nicht. Es könnte ja ein Zeichen für die Auflösung der „Chaebol-Kultur“ sein, jenes für Südkorea einzigartigen Wirtschaftsphänomens, das eng mit der Politik verflochtenen Familienclans die Herrschaft über riesige, weltweit erfolgreiche Industriegruppen sichert. Tatsächlich war der Tote Mitglied eines solchen Clans. Und trotzdem hat die Welt Grund, über Chung Mong Hun zu trauern.

Chung war der fünfte Sohn des legendären Industriellen und Konzerngründers Chung Ju Yung. Bei seinem Tod vor zwei Jahren hinterließ er ein schwieriges Erbe: Hyundai hatte sich wie alle Chaebols überdehnt und musste zersplittert werden. Die älteren Brüder erbten die gesunden Teile, Mong Hun aber übernahm das unrentable Steckenpferd des Vaters, dessen aus Patriotismus getätigten Investitionen in Nordkorea. Hyundais großzügiges Engagement war Speerspitze aller Entspannungspolitik auf der Halbinsel. Um es zu retten, hat Mong Hun sich nun das Leben genommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, hundert Millionen Dollar Schwarzgeld an den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Il für dessen Teilnahme am ersten innerkoreanischen Gipfeltreffen im Juni 2000 gezahlt zu haben. Sein Freitod ist in dieser Hinsicht ein Eingeständnis – dafür, dass er es war, der den innerkoreanischen Aussöhnungsprozess illegal finanzierte. Ohne sein Schmiergeld hätte sein Präsident Kim Dae Jung im Jahr 2000 nicht den Friedensnobelpreis erhalten.

Eigentlich hätte Mong Hun dafür eines Tages Lorbeeren verdient. Doch es kam anders: Kims Entspannungspolitik fiel in Washington in Ungnade, Bush erklärte Nordkorea zum Teil der „Achse des Bösen“, Kim Jong Il reagierte mit der Verkündung neuer Atomwaffenprogramme – und in Südkorea hetzte die US-treue Opposition fortan auf Leute, die sich ihrer Meinung nach an Kim Jong Il verkauft hatten. Chung Mong Hun ist heute Opfer dieser traurigen Jagd. GEORG BLUME