: Nichtsein ist keine Frage
Der Bremer Jürgen Nola macht aus Literatur-Klassikern Hörspiele für Kinder. Ein Praxistest von Nolas Erstling „Hamlets Rache“
Eben hüpfte die Testhörerin noch in aufgeregter Abgeklärtheit auf Papas Couch. Pah, „Hamlets Rache“, das „schockt doch nicht“, wenn man schon all die TKKG- und Drei ???-Kassetten rauf und runter gehört habe. Aber schon vom ersten Ton an nötigt der „Krimi nach William Shakespeare“ auch der Neunjährigen Respekt ab: Pompös gruselnde Musik droht mit metallisch schrillen Gänsehauteffekten das Allerschlimmste an.
Der Wippstert wirkt sofort beruhigt, zwängt sich in die kissenkuscheligste Ecke, bangt um den Helden, dessen Geschichte im Bremer CD-Studio Seven Rays als erster Teil der Reihe „Theaterklassiker für Kinder“ hergerichtet wurde. „Spannung und Bildung garantiert!“ steht auf dem Cover. In der Kategorie „Kinder- und Jugendaufnahmen“ wurde das Hörspiel mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet.
„Typisch, immer verlangen die Eltern etwas von den Kindern, was die gar nicht wollen und können“, kommentiert die Tochter, als Hamlets gemeuchelter Erzeuger als Geist erscheint undseinem Sohn den Detektiv-Auftrag verkündet: Finde den Täter des Vatermordes – und räche ihn. Stilvoll hallt Will Quadflieg die Vaterrolle aus dem Jenseits herüber. „Das ist wie bei Pippi Langstrumpf, die muss ihren Papa auch aus dem Gefängnis retten, ihn bei den Seeräubern rächen; dabei müssten doch die Eltern ihren Kindern helfen.“
Der Zugang zum Drama aller Dramen ist also vermittelt, die Fährte gelegt. „Bestimmt war der Stiefvater der Mörder, der ist in Märchen doch immer der Böse.“ Aber sowohl die allzu verdichtete Bearbeitung von Jürgen Nola als auch das allzu dünne Booklet und der Inhalte raffende Erzähler bieten keine ausreichend Hilfe zum Verständnis des dramatischen Beziehungsgeflechts. Zumindest bei der Erstbegegnung mit der keuchenden Seele des philosophischen Zauderers muss der reale Vater der Zuhörerin in seiner Funktion als Allwissender immer wieder die Pausentaste des CD- Players drücken und drauflos erläutern.
Gut funktioniert hingegen, den klassisch-romantischen Übersetzungston anzunüchtern, ohne sich mit Kindersprache, Jugendjargon oder SMS-Deutsch anzubiedern. Shakespeares intellektueller Heißsporn bleibt so ins Fantastische entrückt, wirkt in seiner Not aber sehr real und funktioniert als Identifikationsfigur für die lieben Kleinen. Was Hamlet da in sich brüten lässt, provoziert Fragen. „Warum traut er sich nicht zuzugeben, dass er diese Ophelia liebt?“ – „Wieso ist die Welt aus den Fugen?“ – „Was labert er so lange und tut nicht endlich mal was?“ – „Sein oder Nichtsein, das ist doch gar keine Frage, Nichtsein bedeutet doch Tod, das ist doch blöd.“
Ein Hörspiel also, das bildet. Da aber das auf 14 Figuren reduzierte Personal mangelhaft eingeführt wird, kommt das finale Hauen und Stechen ziemlich verwirrend daher. Wer kämpft da gegen wen? Und wer ist schon tot? Einfach zu kompliziert. „Aber ich glaube, der Claudius wollte die Gertrud gar nicht heiraten, nur König werden, und dafür hat er seinen Bruder umgebracht.“ Nur müsse man für diese Lösung des Mordfalls am dänischen Hof ganz dolle nachdenken. „Im Kino wäre die Geschichte bestimmt erst frei ab 18.“
Was die Mutter der Probantin auch meint: „Ein Brutalo-Hörspiel, nichts für Kinder“. Das Opfer des Testhörens lauscht jedenfalls zur Erholung erst mal „Bibi Blocksberg – Das Schmusekätzchen“ und sortiert „Hamlets Rache“ neben „Hexe Lilli“ ein.
Jens Fischer
Hamlets Rache. Krimi nach William Shakespeare. Erschienen in der Reihe „Klassik für Kinder und Erwachsene“ bei Universal/Deutsche Grammophon.