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Archiv-Artikel

Glanz kehrt ein ins Hinterzimmer

Zwei Optimisten wollen das Hansa-Theater in Moabit wieder eröffnen. Sie kündigen Boulevard von der besseren Sorte an: jenen, hinter dem Wahrheiten sichtbar werden, der große Namen bietet. Lilo Wanders und Sissi Perlinger sind jedenfalls dabei

VON WALTRAUD SCHWAB

Wer hätte es gedacht: Das Hansa-Theater ruft, und die Stars kommen. Sissi Perlinger in Leoparden-Outfit und hochgesteckter blonder Mähne ist da. Mit ihr Lilo Wanders – Brust raus, Bauch rein – auf roten Stöckelschuhen. Dazu noch Andrea Bürgin, Star aus der ZDF-Soap „Girlfriends“. Geballte Frauenpräsenz also, um dem Hansa-Theater wieder auf die Beine zu helfen. Sogar die Mutter eines der beiden selbst ernannten „unverbesserlichen Optimisten“, Sven-Eric Archut und Christian Alexander Schnell, die mitten in der Kulturdiaspora in Tiergarten die Bühne mit neuem Leben füllen wollen, assistiert und führt die Gäste in den Zuschauerraum.

Die beiden Optimisten, der eine jahrelang Intendant in Dinslaken, der andere Werbeprofi, wollen den Schatten, der auf dem Hansa-Theater liegt, wegfegen. Keine ganz leichte Aufgabe ist das. Denn der Abstieg des Volkstheaters in Moabit war lang und qualvoll. Nachdem der Senat den dortigen Künstlern in einem Gutachten bescheinigte, dass sie weder Berliner Witz noch geistreichen Esprit, sondern „platte, eindimensionale Charakterzeichnung“ bieten, wurden 2001 die Senatszuschüsse gestrichen. Das Niveau war so schlecht, dass niemand im Senat noch einen Finger für das Hansa-Theater rühren wollte. Nur der ehemalige Beleuchter versuchte, die Schließung aufzuhalten und mit privatem Geld und viel Unterstützung einer Hand voll FreundInnen weiterzumachen. Am Ende machte er alles nur schlimmer und setzte das Theater samt Freundschaften in den Sand.

Der schlechte Ruf, der wie Pech an dem Haus hängt, muss weg. Das wissen die beiden Macher. Deshalb haben sie sich Verstärkung mit großen Namen geholt. Denn mit Träumen allein, das haben die Vorgänger vorgemacht, kommt so ein Haus nicht auf die Beine. Dass auch die neuen Betreiber großen Worten nicht abgeneigt sind, zeigt sich daran, dass sie den Beweis erbringen wollen, dass Kunst und Kultur nicht nur mit staatlicher Subvention zu stemmen ist. Da jeder unter „Kunst und Kultur“ etwas Eigenes verstehen kann, mögen sie am Ende Recht haben. Derzeit jedenfalls, so viel zur Finanzierung, werde alles mit privatem Geld bewerkstelligt.

Das Haus, das nun ganz modern unter „HT[21]– Hansa Theater“ firmiert, gilt als architektonisches Schmuckstück. Der kryptische Zusatz im Namen soll junge Zuschauer ansprechen, meint Archut. Die 21 stehe für das neue Jahrhundert, außerdem ist es die alte Postleitzahl Moabits. Gebaut wurde das Hansa-Theater urspünglich allerdings als Vergnügungsstätte eines Bierlokals. Es firmierte unter „Volkshaus“ oder „noblem Hinterzimmer“. Nichtsdestotrotz meint Lilo Wanders: „Schöner als das Schmidt-Theater ist es.“

Sie wird die zweite Produktion, „Die Mythomanin“, bestreiten, eine Hommage an die Schauspielerin Evelyn Künneke. Wanders hat sich das Stück selbst geschrieben. Es basiert auf Begegnungen mit der Diva, an deren schroffe Seiten sich heute alle mit Wehmut erinnern, die einmal mit ihr zu tun hatten.

Ein Interview, das Wanders vor zwanzig Jahren mit Künneke machte und bei dem sie hochkant abgefertigt wurde, liegt „der Mythomanin“ zugrunde. Künneke soll eine gewesen sein, die Geschichte erfand. Ihre eigene inbegriffen. Manchmal vergaß sie die Grenze zwischen Mythos und Wahrheit. „Sagen Sie mir nicht, was ich alles in meinem Leben gemacht habe“, wurde Wanders von ihr einst angeschnauzt. Die Pressekonferenz, auf der dies alles vorgestellt wird, zeigt letztlich jedoch den Respekt und die Zuneigung, die sie Künneke entgegenbringt. Und es wird bei dem Termin noch etwas deutlich: Wanders Auftritt im Hansa-Theater ist eine Chance, auch dem Fernsehstar von heute nahe zu kommen. Hinter dem perfekten Make-up der Parodistin steckt keine Schablone.

Sissi Perlinger, die dem neuen Unterfangen einen grandiosen Auftakt samt Glanz und Ruhm garantieren soll, gibt sich bei der Pressekonferenz ebenfalls volksnah. Ein Glück sei es für sie, in ihrer Lieblingsstadt Berlin spielen zu dürfen, dabei auch noch „Architekturschmuckstückwiedererweckerin“ zu sein. Sie wird der ersten Produktion des Haues, einer Verwechslungskomödie, in der der Geist der dominanten Mutter in den Körper der drögen Tochter fährt und umgekehrt, ihren charmanten Stempel aufzudrücken suchen. Veranstaltungen mit Senta Berger und Iris van Berben stehen zudem bereits auf dem Programm.

Schnell und Archut, die Betreiber, setzen alles daran, dem Theater neue Zuschauergruppen zu erschließen. Dass mit Lilo Wanders Präferenzen und sogar Attitüden der Homosexuellen angesprochen werden, ist unbestritten. In Planung ist die deutschsprachige Erstaufführung von „Beautiful Thing“, einer Coming-out Geschichte, die in London spielt. Aber auch vor „Kultstücken der Frauenbewegung“ wie „Nur Kinder, Küche, Kirche“ werde nicht Halt gemacht. Andrea Bürgin, die Girlfriend-Protagonistin, soll das bewältigen.

Viel Zeit hatten die Macher nicht, um den Plan vom eigenen Theater in die Tat umzusetzen. Im März hatten sie es besichtigt und in erbärmlichem Zustand vorgefunden. Hand anlegen, Programm planen, Künstlerkontakte aufbauen, Finanzierung ausarbeiten – hier sind Herkulesse am Werk. Die ganze Familie habe Hand angelegt. Mehr ist nicht zu erfahren. Wenn am Ende gutes Theater rauskommt, ist letztlich egal, wie das geschafft wurde.