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Archiv-Artikel

So viel fühlen, dass man explodiert

Das Berliner Indie-Label „City Slang“ hat ein feines Gespür für wichtige Musik. Am Mittwoch sind die Briten „Sophia“ um Robin Proper-Sheppard mit einem Streichquartett zu hören. Dazu gesellen sich die drei SüdafrikanerInnen von „Dear Reader“. Deren Erstling „Replace Why With Funny“ gilt nicht wenigen als „Next Big Thing“ des Indie-Pop

Christof Ellinghaus hat ein feines Gespür für wichtige Bands. Schon mit seiner Tour-Agentur „Sweatshop“ hat er ein wenig Musikgeschichte geschrieben. Zu den ersten betreuten Bands des mittlerweile in Berlin ansässigen Ostwestfalen gehörte ein noch unbekanntes Trio aus dem US-amerikanischen Seattle. Jahre später waren „Nirvana“ weltbekannt. Auch „Mudhoney“, „Soundgarden“, „The Walkabouts“, „Urge Overkill“ und die „Flaming Lips“ hat Ellinghaus Anfang der 90er in Europa auf Tour geschickt.

Letztere waren es denn auch, denen schließlich die Gründung von „City Slang“ zu verdanken ist. Die sperrigen Alternative-Rocker suchten ein Label, um in Europa ihre Platten zu veröffentlichen, Ellinghaus gab es ihnen. Heute arbeitet das Indie-Label eng mit den Chicagoer Kollegen von „Thrill Jockey“ und dem kanadischen „Arts & Crafts“-Label zusammen und veröffentlicht hierzulande Größen wie J. Mascis, „Stars“, „The Notwist“, „Yo La Tengo“ oder „Broken Social Scene“.

Aber nicht nur Nordamerikaner kommen bei „City Slang“ unter. Am Mittwoch präsentiert das Label auf Kampnagel die Briten „Sophia“ und das südafrikanische Trio „Dear Reader“. Erstere bestehen aus dem Ex-„The God Machine“-Gitarristen und -Sänger Robin Proper-Sheppard und dem „Sophia Collective“, MusikerInnen, die mit Proper-Sheppard regelmäßig kollaborieren. Eine typische „City Slang“-Band: lyrisch tiefgründig und deprimierend – Tod, die Unmöglichkeit menschlicher Beziehungen, die tiefe innere Zerrissenheit – und musikalisch erfreulich experimentierfreudig. Auch Proper-Sheppards aktueller Wurf „Technology Won’t Save Us“ fällt da nicht aus dem Rahmen: neben die obligatorische Akustik-Klampfe treten fragile Bläser, heulende Geigen und gespenstische Weltuntergangs-Kulissen. Es ist die Orchestrierung, in der auch Proper-Sheppard seinen größten Fortschritt sieht. Auf Kampnagel ist „Sophia“ am Mittwoch mit einem Streicherquartett zu hören.

Auch die drei SüdafrikanerInnen „Dear Reader“ passen gut ins „City Slang“-Revier und warten mit ausgefuchsten Arrangements, schwelgerischen Geigen, lieblich gezupften Gitarren und stimmlicher Hingabe auf. Nach Selbstauskunft klingt das wie „wenn du so viel fühlst, dass du denkst, du könntest explodieren, und dann über dich lachst, weil du so ein melodramatischer Depp bist“. Das gilt nicht wenigen derzeit als das „Next Big Thing“ im Indie-Pop. Am Mittwoch stellen „Dear Reader“ ihren Erstling „Replace Why With Funny“ vor.

ROBERT MATTHIES

Mi, 11. 2., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20