Symbolischer Schritt

Das Labor steht jetzt eben in Berlin: So begründet der Suhrkamp-Verlag seinen Umzug in die Hauptstadt

Suhrkamp zieht nach Berlin. Das verkündete die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz gestern ganz offiziell. Seit Wochen hatte es zuvor ein großes Brodeln in der Gerüchteküche gegeben. Unseld-Berkéwicz begründete die Entscheidung mit der gewachsenen Bedeutung der Hauptstadt. Berlin knüpfe als kulturelles Zentrum wieder dort an, wo es nach dem Krieg zum Aufhören gezwungen wurde. In der Sendung „Kulturzeit“ sagte sie zudem am Freitag: „Außerdem ist es doch im Moment so: die Lage politisiert sich bis tief hinein ins kulturelle Leben, da muss Suhrkamp vor Ort sein.“ Heute sei „eben das Labor in Berlin“ – wie es einst in den 1960er-Jahren Frankfurt gewesen sei. In Frankfurt werden sie das derzeit nicht so gerne hören.

Unumstritten ist die Entscheidung im Haus selbst keineswegs. 80 Prozent der etwa 130 Beschäftigten hatten sich zuvor dagegen ausgesprochen. In einer Pressemitteilung heißt es, dass die Gesellschafter des Verlags den Vorschlag der Geschäftsführung „mehrheitlich“ begrüßt hätten. Also: nicht einstimmig. Die Besitzverhältnisse sind kompliziert; alles sieht danach aus, dass Unseld-Berkéwicz mit dem Umzug ihre Macht im Haus zementiert hat. Zeitgleich war bekannt geworden, dass Adolf Muschg von Suhrkamp zum Verlag C.H. Beck wechseln wird; andere altgediente Suhrkamp-Autoren werden sich ähnliche Schritte überlegen.

Tatsächlich sind die Auswirkungen dieses Schrittes groß – symbolisch noch größer als real. Suhrkamp, das ist ein Verlag der avancierten deutschsprachigen Nachkriegsmoderne; Max Frisch, Uwe Johnson, Hans Magnus Enzensberger, Peter Handke, Thomas Bernhard – in der Frankfurter Lindenstraße gingen sie alle ein und aus. Zudem endeten wenigstens gefühlt zwei Drittel aller Fußnoten in geisteswissenschaftlichen Doktorarbeiten mit „Suhrkamp, Frankfurt a. M.“. Die viel beschworene Suhrkamp-Kultur war am Main beheimatet. So bedeutet der Wegzug auch ein Stück weit ein Abschied von der alten Bundesrepublik.

Ob es zugleich ein Aufbruch hin zu neuen Ufern werden wird, wird sich zeigen. Mal gucken, ob sich eine Berliner Suhrkamp-Kultur entwickeln wird. Befürchtungen, dass nun der kulturelle Föderalismus in Gefahr ist, darf man aber ins Reich der Übertreibungen verweisen. Die Gewichte auf der intellektuellen Landkarte der Bundesrepublik werden sich etwas zugunsten der Hauptstadt verschieben, aber Frankfurt bleibt ein starker Verlags- und Medienstandort, so wie Hamburg, München und Köln auch.

In Berlin freuen sich jetzt natürlich alle Offiziellen, was das Zeug hält – vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der hinter den Kulissen für den Umzug getrommelt hat, bis hin zu Kulturstaatssekretär André Schmitz und dem Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke). Berlin ist seit Freitag zwar nicht viel reicher – auf gerade 46 Millionen Euro Umsatz bringt es Suhrkamp –, aber noch etwas sexyer als zuvor. Ein Sprecher der Kulturverwaltung sagte auf Nachfrage der taz, dass die Gespräche, welches Gebäude der Verlag im Jahr 2010 genau beziehen werde, noch nicht abgeschlossen seien. Über Vorleistungen und Versprechungen Berlins an Suhrkamp werden keine Angaben gemacht. DRK