: Schulden und Sühne
AUS BERLIN RALPH BOLLMANN
Den Satz sagte der bayerische Ministerpräsident, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt. „Das bedeutet für Bayern eine Zusatzbelastung von 60 Millionen Euro jährlich“, erläuterte Horst Seehofer am Freitag in Berlin den am Vorabend von Bund und Ländern geschlossenen Kompromiss zur Schuldenbremse. Mit dieser Summe will sich jetzt auch der Freistaat an den Finanzhilfen beteiligen, die den fünf ärmsten Bundesländern die Zustimmung zu dem Beschluss erleichtern sollen. „Wir sind viel kompromissbereiter, als es immer erscheint“, fügte Seehofer hinzu.
Dabei hatte es bis zuletzt so ausgesehen, als werde erneut ein wichtiges Vorhaben der großen Koalition am Widerstand aus München scheitern. Doch wollte Seehofer offenbar nicht als der ewige Blockierer dastehen, nachdem er zuletzt schon das wichtige Umweltgesetzbuch verhindert und die Schwesterpartei CDU damit tief verärgert hatte. Weil einer wie Seehofer aber nicht einfach klein beigeben kann, verfiel er auf einen Trick: Als Gegenleistung für seine Spendierfreude forderte er, den Bundesländern von 2020 an jegliche Neuverschuldung zu untersagen, statt sie lediglich auf 0,15 Prozent zu begrenzen. „Wenn wir jetzt Finanzhilfen neu etablieren, dann nur, wenn es kein Fass ohne Boden ist“, sagte Seehofer.
In den Verhandlungen hielten Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) dem Bayern zunächst vor, er sei dabeigewesen, als die Koalitionsrunde Entschuldungshilfen für die armen Länder beschloss. „Ich hab’ Sie doch gesehen“, sagte Steinbrück. Am Ende hätten Christ- und Sozialdemokraten aber einsehen müssen, dass man dort nur Schuldengrenzen, nicht aber Finanzspritzen beschlossen habe, erläuterte Seehofer.
Nach dem Kompromiss, den SPD-Fraktionschef Peter Struck und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) am Freitag vorstellten, soll der Bund seine Neuverschuldung von 2011 bis 2016 wie ursprünglich geplant von derzeit rund drei Prozent auf dann nur noch 0,35 Prozent des Sozialprodukts reduzieren. Die Länder haben bis zum Jahr 2020 Zeit, dürfen dann aber überhaupt keine Schulden mehr machen.
Im Gegenzug erhalten die fünf ärmsten Bundesländer, Bremen, Saarland, Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen-Anhalt, während der Übergangszeit Finanzhilfen von insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr. Diese Summe wird aus der Mehrwertsteuer finanziert und folglich von Bund und Ländern je zur Hälfte getragen.
Abweichungen von der Schuldengrenze sollen in Wirtschaftskrisen und in besonderen Notsituationen wie etwa Naturkatastrophen weiterhin möglich sein. In beiden Fällen muss es aber einen verbindlichen Tilgungsplan geben, der die Rückzahlung der aufgenommenen Schulden regelt. Ein neu zu gründender Stabilitätsrat, dem die 17 Finanzminister von Bund und Ländern angehören, soll die Einhaltung der Vorschriften überwachen. Der Bund will die neuen Regeln noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Grundgesetz festschreiben. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig. Unklar blieb am Freitag, inwieweit auch die Änderung sämtlicher Landesverfassungen nötig ist. Die Föderalismuskommission wird am kommenden Donnerstag nochmals tagen, um letzte Einzelfragen zu klären.
Weichen die fünf armen Länder von den geplanten Regeln ab, sollen sie keine Finanzhilfen mehr erhalten. Für den Bund und die reicheren Länder bleibt es aber bei stumpfen Sanktionsmechanismen. Hier können die Oppositionsfraktionen beim jeweiligen Verfassungsgericht lediglich die nachträgliche und daher folgenlose Feststellung einklagen, dass das Regierungshandeln rechtswidrig war.