: Mit Rudolf Steiner gegen den Teuro
Eine Waldorfschule in Oberbayern gibt den „Chiemgauer“ als örtliche Zweitwährung heraus. Das Projekt soll die lokale Wirtschaft stärken und den Geldabfluss ins Ausland verringern, doch Ökonomen sehen darin nur schnödes Marketing
MÜNCHEN taz ■ Es gibt Leute, die gehen gegen die Globalisierung auf die Barrikaden. Und es gibt Leute, die drucken zu diesem Zweck Geld. Eine Initiative im oberbayerischen Prien am Chiemsee hat es auf diese Weise geschafft, viele Menschen zu mobilisieren – indem sie neben dem Euro eine Zweitwährung in Umlauf brachte, den „Chiemgauer“.
Der Lehrer Christian Gelleri von der Waldorfschule Prien hat sich den „Chiemgauer“ im Oktober 2002 ausgedacht, unterstützt von seinen Schülern. Pate stand, wie sollte es bei einer Waldorfschule anders sein, der Antroposoph Rudolf Steiner mit seinen Ideen zur „Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben“ – und sein Zeitgenosse Silvio Gesell, der vor hundert Jahren die Idee der „Freiwirtschaft“ entwickelte. In Deutschland basteln derzeit etwa 35 Initiativen an neuen Währungen. Bremer bezahlen schon mit dem „Roland“, in Berlin soll es ab September den „Berliner“ geben.
Wer bei dem Priener Projekt mitmachen will, kann seine Euros zum Kurs von eins zu eins in „Chiemgauer“ umtauschen. Mit den bunten Gutscheinen kann er dann Brot, Gemüse, Reifen oder Brillen einkaufen. Allerdings nur bei den 140 beteiligten Händlern der Region. Und das ist der Sinn der Sache: Die Region soll gestärkt werden, die Qualität der Waren wieder zählen. Was wiederum mittelständischen Unternehmen zugute kommen soll.
Die Teilnehmerzahl hat sich innerhalb des letzten Jahres auf 240 verdoppelt. Derzeit wandern etwa 20.000 „Chiemgauer“ pro Monat von Hand zu Hand.
Das Projekt funktioniert aber nur, wenn die neue Währung auch tatsächlich in Umlauf ist. Deshalb verlieren die Scheine alle drei Monate 2 Prozent ihres Wertes. Eine Konsumflaute kann also gar nicht erst aufkommen, auch das Spekulieren mit Zinsen wird auf diese Weise unterbunden. Will ein Unternehmen die Gutscheine in Euro einlösen, bekommt es nur 95 Prozent des Euro-Wertes. Von den 5 Prozent fließen 3 Prozent in soziale Projekte, mit 2 Prozent werden die Kosten des Schülerunternehmens gedeckt.
Komplementärwährungen wie der „Chiemgauer“ entstanden immer dann, wenn zu wenig Geld in Umlauf war, etwa im Österreich der Dreißigerjahre oder vor zwei Jahren in Argentinien, als das Land in eine tiefe Rezession rutschte. Das oberbayerische Chiemgau zählt zwar nicht zu den Krisengebieten, aber auch hier werden immer häufiger kleine Betriebe verdrängt.
Herkömmliche Währungen werden auf der Bank deponiert, um Zinsen anzusparen. Dieses Geld fließt aber dahin, wo die höchsten Renditen an den Finanzmärkten zu erwarten sind, im Zweifel also eher nach Asien als zurück in die eigene Region.
„Mehrere gut funktionierende Regionalwährungen können die Volkswirtschaft stärken“, glaubt Lehrer Gelleri. Indem weniger Bankengeld nachgefragt werde, was die Geldmenge dämpfe. Dann könne die Zentralbank die Zinsen senken.
Der Münchener Makroökonom Gerhard Illing ist da anderer Ansicht. „So eine Währung wird sich immer nur auf die Region auswirken.“ Alles in allem sieht der Professor den „Chiemgauer“ als ein schlichtes Marketinginstrument oder Rabattsystem. Mit den sozialistischen Prinzipien des Ökonomen Gesell habe das Projekt nichts zu tun.
In Prien lässt man sich von solcher Kritik nicht beirren und plant schon weiter. Der Lehrer Gelleri arbeitet an einem „elektronischen Chiemgauer“, etwa in Form einer aufladbaren Karte. Und er sucht die Zusammenarbeit mit Sparkassen. „Sparkassen genießen als Geldexperten großes Vertrauen. Das hätte natürlich Breitenwirkung“, so Gelleri. Mittlerweile wird die Initiative sogar von Bürgermeistern und Gemeinderäten unterstützt – parteiübergreifend.
KATHRIN BURGER