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Archiv-Artikel

Hannover, Brühreis und November

Nach dem Medienterror um den Kanzler-Urlaub: Die angeblich so dröge Landeshauptstadt zieht Nutzen aus ihrem miserablen Image

„Meinetwegen kann Schröder noch eine Woche an seinen Urlaub dranhängen.“

aus HannoverKai Schöneberg

Häme zerstört nicht nur. Niedermachen, Draufdreschen und Abbashen können auch höchst produktiv sein. Das zeigte sich unlängst im Verlauf der wunderschönen deutsch-italienischen Verstimmungen, als sich plötzlich alle Welt berufen fühlte, etwas über die Perle des Niedersachsenlandes meinen zu müssen. Weil sich die Medien im riesenhaften Sommerloch wähnten, druckten alle plötzlich ewig lange Hannover-Epen ab. Dass es überhaupt nicht oder gerade katastrophal schlimm sei, dass der Kanzler zu Hause Basta-Urlaub mache.

Während die Leitmedien von Süddeutscher Zeitung bis zur FAZ gnädig mit der Landeshauptstadt umgingen, fuhren andere große Geschütze auf. Nachdem der böse Michael Glos, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, getönt hatte, Gerhard Schröder „bestraft sich selber, dass er in Hannover Urlaub macht. Ich kann mir interessantere deutsche Landstriche vorstellen“, ging das Metzeln richtig los. Von den drögen Hannoveranern, dem „von Hitler gebauten“ Maschsee und der betonierten Einöde war zu lesen. Der absolute Sommerloch-Kracher stand jedoch in der Berliner Zeitung: „Hannover ist das Gegenteil von Sommer. Von Urlaub. Wäre Hannover eine Jahreszeit, käme der November in Frage. Hannover als Essen vorgestellt wäre eine Brühe (oder Brühreis), und müsste man Hannover mit einer Geste beschreiben, würde man gähnen. Hannover heißt durchfahren, aber nicht bleiben. Es ist die beste Umsteigestadt in Deutschland.“ Das ist quasi Kisch in der Häme-Liga.

Man kann sagen, dass die Umsteigestädter unter solchen Kommentaren litten wie der italienische Staatssekretär unter der Doitschen-Schelte („Ich liebe...“) – oder unter einer ausgetrockneten Leine. Die Lokalpresse jaulte auf – um so schnell wie möglich die Hannover-Scharte wieder auszuwetzen. Als einen „großen Schub für das Hannover-Image“ wertete die Neue Presse jetzt den Besuch von 120 Journalisten in der Stadt, die der Reise-Riese TUI zu drei Tagen Herrenhäuser Gärten, Altstadt oder Niki-Grotte-Angucken verdonnert hatte. „Den Zoo fand ich einfach fantastisch“, ließ die Neue Presse logischerweise dann Reiseredakteur Rainer Krause aus München sagen. „Vor allem der Zoo ist Weltklasse“, ergänzte Kira Presch vom Westfälischen Anzeiger. „Super gefallen“, meinte Doris Maier von der Augsburger Allgemeinen, habe ihr „natürlich der fantastische Zoo“. „Schlichtweg begeistert“ war auch Dietlind Castor, Journalistin aus Lindau – natürlich vom Zoo, eines der „Highlights“ ihres Tripps. Und so weiter.

Direkt neben der Zoo-Geschichte war übrigens der große Ankündiger über die Verleihung des Leibniz-Rings Hannover an den ehemaligen UN-Waffeninspekteur Hans Blix zu lesen, der ja vergleichbar geschmäht wurde – aber wenigstens von George W. Bush. Blix hat ein ähnlich grauliches Image wie zum Beispiel Hans Eichel oder – aber das wollen wir jetzt nicht weiter ausführen...

Auf jeden Fall will sich Hannover, die Gebeutelte, endlich ein neues Image zulegen. Schon nächstes Jahr heißt die Stadt nicht mehr wie die wahnsinnig erfolgreiche Weltausstellung „Expo-City“. Stattdessen preist man sich als Austragungsort der Fußball-WM. Gar nicht schlecht läuft derzeit auch die Image-Kampagne von der „Kanzlerstadt“. T-Shirts mit diesem Aufdruck sind schon über 300 mal verkauft worden, natürlich auch im Edeka-Markt direkt gegenüber den Schröders.

Letztlich hat das despektierliche Brimborium Hannover bislang mehr genutzt als geschadet: Es hagelte Mitleid – und Aufmerksamkeit. Bei der Reform der Gemeindesteuer war der Stadt-Underdog jetzt wieder wg. Gipfeltreffen in der Tagesschau zu sehen.

Informationen über Hannover seien derzeit so gefragt wie nie, heißt es beim City-Marketing. Täglich würden derzeit einige tausend Exemplare einer Hannover-Broschüre verschickt. „Wir werden wohl bald 25.000 Stück nachdrucken lassen“, sagt ein Sprecher. Und: „Meinetwegen kann Schröder noch eine Woche an seinen Urlaub dranhängen.“

Der Auslöser der ganzen Hannover-Hysterie genießt derweil seine Ferien – nicht beim Maschsee-Fest, aber natürlich in seiner Wohnung im Zoo-Viertel, unweit des Lieblingsorts der Familie, für den sie natürlich auch eine Jahreskarte besitzt. (Aber: Im Zoo wurden die Schröders noch nicht gesichtet).