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Archiv-Artikel

Fallstricke im ADG: Türken geschützt, Muslime vogelfrei

Die lange Geschichte des Antidiskriminierungesetzes: SPD und Grüne sind sich immer noch nicht einig, wie weit der Schutz vor Diskriminierung eigentlich gehen soll

FREIBURG taz ■ Das Antidiskriminierungsgesetz (ADG) ist ein Pulverfass. Kein Wunder, dass SPD und Grüne es seit Jahren mit äußerster Vorsicht behandeln. Einerseits ist jeder gegen Diskriminierung, aber die Privatautonomie will auch niemand unnötig einschränken. Außerdem sollen Vergünstigungen erhalten bleiben und soll der Wunsch von Minderheiten, auch mal unter sich zu bleiben, respektiert werden.

Ausgetragen wird der Streit vor allem beim zweiten Teil des ADG, dem Schutz vor Diskriminierungen im Geschäftsleben, also bei Einkäufen, im Hotel, beim Anmieten einer Wohnung oder beim Abschluss einer Versicherung. Hier gibt die EU – anders als im Arbeitsleben – nur eine Minimallösung vor. Zu verbieten sind Diskriminierungen wegen Rasse und ethnischer Herkunft.

Dennoch wagte vor drei Jahren die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) einen großen Wurf. Über die EU-Vorgaben hinaus wollte sie auch zahlreiche weitere Gründe ins Gesetz aufnehmen: Geschlecht, Behinderung, Alter, Religion und Weltanschauung, sexuelle Identität. Ihr Argument: Es werde niemand verstehen, dass der ADG-Schutz im Arbeitsleben viel weiter reicht als im Zivilrecht.

Damit hatte sie Erwartungen geweckt, die Rot-Grün nicht einhalten konnte. Schnell wurden Kriterien wie Alter und Weltanschauung gestrichen. Vorzugsangebote für Senioren sollten nicht gefährdet werden, und Nazis sollten sich nicht in Veranstaltungslokale einklagen können. Dann kamen die Kirchen und sorgten sich um ihre sozialen Einrichtungen, die sie nicht jedem öffnen wollen. Außerdem müsse es einem „alten katholischen Mütterlein“ möglich sein, auch gezielt einen katholischen Mieter zu suchen. Lobbyarbeit betrieben auch die Versicherungs- und die Wohnungswirtschaft. Es ging nichts mehr. Das ADG, mit dem Rot-Grün in die Bundestagswahl 2002 ziehen wollte, musste verschoben werden.

Dann stolperte Herta Däubler-Gmelin über ihren Bush-Hitler-Vergleich und erhielt mit Brigitte Zypries (SPD) eine deutlich vorsichtigere Nachfolgerin. Deren Losung lautete, die EU-Vorgaben würden „eins zu eins“ umgesetzt. Wenn man darüber hinausginge, brauchte man nur wieder viele Ausnahmebestimmungen, die Rechtsunsicherheit schaffen und die symbolische Wirkung des Gesetzes untergraben.

Diese harte Linie war aber auch nicht durchzuhalten. Denn nun machten die Lobbygruppen der Diskriminierten Druck. Erfolgreich waren bei der SPD vor allem die Behinderten. Allerdings bekommen sie nur einen Schutz zweiter Klasse (siehe oben) – was die Akzeptanz des Gesetzes nicht fördern dürfte.

Im Herbst soll das Gesetz in den Bundestag eingebracht werden. Und noch verhandeln SPD und Grüne über Nachbesserungen. Grünen-Verhandlungsführer Volker Beck setzt sich insbesondere für den Schutz Homosexueller ein. Außerdem sei der Schutz gegen rassistische Diskriminierung wenig konsequent, wenn gleichzeitig Muslime und Juden diskriminiert werden dürften.

Hans-Joachim Hacker, SPD-Verhandlungsführer, glaubt, dass eine Einigung noch möglich ist. „Es könnten mehr Merkmale aufgenommen werden, wenn zugleich der Schutz auf die Massengeschäfte des Alltags beschränkt wird“, so sein Angebot. Allerdings rechnet die SPD die Vermietung von Wohnungen und den Abschluss von Versicherungen nicht zum Massengeschäft, weil es hier auf Besonderheiten des Einzelfalls ankomme. Es blieben der Einkauf im Supermarkt und die Übernachtung im Hotel – Punkte von eher symbolischer Bedeutung. CHRISTIAN RATH