Weltbibliotheken kämpfen um ihre Offenheit

Ob bei den Schulbibliotheken oder den öffentlichen Büchereien von Singapur bis New York: Es geht beim Berliner Weltkongress der Bibliothekare immer darum, wie offen Bücherhallen wirklich sind. Der Einschnitt des 11. September

BERLIN taz ■ Da wussten die Bibliothekare nun nicht, ob sie amüsiert oder ertappt sein sollten. Ihre Kollegin Glenys Willars aus Leicestershire (Großbritannien) brachte von einer Befragung unter Jugendlichen ein unsexy Ergebnis mit: Die Kids fanden, Bibliothekare seien vormundschaftlich, uncool – und hätten offenbar „kein Sexualleben“. Kichern, empörtes Raunen, Räuspern, die Bücheraufseher boten im Saal 15.2 des Internationalen Congress Centrum (ICC) mehr, als sie sonst zu geben bereit sind bei ihrem Weltkongress in Berlin.

Die kleine Episode von Glenys Willars beschreibt eine Selbstverständlichkeit für Bibliothekskunden – und einen kulturellen Konflikt, den die Bibliothekare scheinbar gerade erst entdecken. Die Selbstwahrnehmung der Damen und Herren von der Ausleihe atmet den Geist von tief erlebter Kultur, von Demokratie und von Öffentlichkeit. Wer sich aber Bücher ausleiht, wird von Bibliothekaren eher als Eindringling gesehen. Kinder seien unvorhersehbar, emotional, fordernd und hätten Verhaltensprobleme. So sahen britische Büchereiangestellte in der zitierten Umfrage des Berufsverbandes „Chartered Institute of Library and Information Professionals“ (CILIP) ihre jungen Kunden. Die Untersuchung haben übrigens nicht die Bücherleute, sondern Kinderpsychologen vorgenommen, um herauszufinden, wie sich Bibliothekare auf die gewandelten Wünsche der Kinder einstellen sollen. Mit der Aktion „start with the child“ wollen die Engländer ab jetzt völlig neue Wege gehen.

Wie schwierig das Wünscheablesen für die Zunft der Erfasser, Pfleger und Bereitsteller von Büchern selbst ist, zeigte ausgerechnet eine Arbeit, die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen üben wollte. Die isländische Professorin Anne Clyde nahm sich das Sortiment von Literatur in Schulbibliotheken vor, das Homosexualität zum Thema hat. Clyde kam zu dem, wie sie sagte, diskriminierenden Ergebnis, dass doppelt so viele Männer wie Frauen in homosexuellen Romanen vorkämen. Und, auch das fand die Sozialwissenschaftlerin aus Reykjavik nicht gut, die Kollegen Bibliothekare sortierten die schwul-lesbische Literatur nicht übersichtlich genug.

Die Probleme der Sektion Schulbibliotheken klingen pittoresk, aber sie sind nur ein Spiegel der Herausforderungen, die der Weltverband der Büchereiangestellten auf seinem Berliner Kongress diskutiert. Eben noch machte man sich Gedanken über den „digital divide“, die Spaltung in internetfähige und andere, da geschieht in New York das Unfassbare – und trifft das Selbstverständnis der Bibliothekare im Mark: die freie Zugänglichkeit und Nutzbarkeit aller Informationen und Medien für jedermann.

Die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 haben eine Welle von Restriktionen über die Bücherhäuser schwappen lassen. Unter anderem, weil die Attentäter Computer einer öffentlichen Bibliothek in Florida nutzten, enthält das Heimatschutzgesetz in den USA ein eigenes Kapitel für Büchereien. Darin steht, dass die Ausleih- und Internetgewohnheiten der Kunden zu registrieren und an die Sicherheitsdienste weiterzugeben sind. Eine Anweisung, von der laut der Universität Illinois reichlich Gebrauch gemacht wird. An über 500 von 1.500 befragten Bibliotheken waren FBI und andere Behörden auf der Suche nach potenziellen Terroristen, indem sie die Nutzerdaten der Kunden durchforsteten.

Für die Weltbibliothekare ist das kein inneramerikanisches Problem. Der „Patriot Act“ sei ein Sicherheitspaket, das als Vorlage nicht nur für europäische Regierungen dient, um die Freiheit der Information einzuschränken.

Der Australier David Byrne, der die Sektion Freiheit der Information beim Weltverband leitet, hat zum 11. September 2001 und seinen Folgen eine eigene Meinung. Es sei überhaupt keine Frage, was nach dem furchtbaren Attentat zu geschehen habe, sagte Byrne. „Wir müssen es verurteilen – und doch gegen den Versuch der Regierungen kämpfen, die Kontrolle über die öffentlichen Bibliotheken auszuweiten.“ CHRISTIAN FÜLLER