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Archiv-Artikel

Ein bitterer Preis

betr.: „Zwei Länder retten die Welt“ (Der Boom in China und Indien stellt die Kritik an Kapitalismus und Globalisierung in Frage. Er belegt: Erfolgreiche Wirtschaftsreformen helfen gegen Armut und Hunger) von Dietmar Bartz, taz vom 31. 7. 03

In seiner Marktgläubigkeit übersieht Dietmar Bartz Folgendes: Der Markt mag in der Lage sein, effizient Produkte herzustellen; für eine gerechte Verteilung der Produkte und des gesellschaftlich geschaffenen Reichtums zu sorgen, ist er nicht fähig – weder national noch international. Dazu bedarf es der Politik. Aber solange diese den (kapitalistischen) Markt als oberste Richtschnur für ihr Handeln ansieht, ist die Welt nicht zu retten.

HEINZ-DIETER SIMON, Menden

Schon interessant, der Artikel, viele bemerkenswerte Fakten. Aber wie der Autor daraus die Schlussfolgerung ziehen kann, dass „zwei Länder die Welt retten“, bleibt schleierhaft. Kinderarbeit und Schuldknechtschaft, auf denen ein Großteil des indischen Wirtschaftswunders beruht (siehe Artikel „Kinderarbeit für Wucherzinsen“ in der gleichen taz-Ausgabe), sowie Menschrechtsmissachtungen und Korruption werden zwar kurz als Einwand von Kritikern erwähnt, aber nicht weiter problematisiert. Welch ein bitterer Preis für ein Wirtschaftswachstum, das die Länder mehr und mehr in eine fatale Abhängigkeit vom globalen Freihandel und seiner menschenverachtenden und jede Solidarität zerstörenden Philosophie des Homo oeconomicus zwingen wird und außerdem, völlig ungerichtet, die ökologischen Systeme und ihre ehernen Grenzen völlig ignoriert. […] ADI GOLBACH, Berlin

Einerseits wird die per Saldo positive Entwicklung in Indien als Beispiel dafür genannt, dass „die Globalisierung“ Erfolg hat; andererseits wird beklagt, dass noch zu wenig „globalisiert“ wäre. So heißt es: „Zudem befinden sich die ausländischen Direktinvestitionen auf einem grotesk niedrigen Stand.“ Unbefangene könnten daraus sogar den Schluss ziehen, dass es also auch ohne Globalisierung geht. Irgendetwas passt da nicht zusammen. Und auch bei China wird nicht klar gesagt, was eigentlich mit Hilfe der „Globalisierung“, unabhängig davon, oder sogar gegen deren Prinzipien (z. B. Unterbewertung der chinesischen Währung) erreicht wurde.

Ich glaube, die Crux liegt darin, dass hier pauschal gegen „die Kritik an Kapitalismus und Globalisierung“ polemisiert wird. Den Globalisierungskritikern wird unterstellt, sie wären Marxisten oder so etwas Ähnliches, die den Kapitalismus als solchen insgesamt und überall ablehnen würden. Als Globalisierungskritiker fühle ich mich durch den Beitrag absolut nicht in Frage gestellt; ich würde nie so argumentieren, wie der Beitrag es den Menschen meiner Art unterstellt. MANFRED DULLIEN, Essen

Solange wir „Armut“ über „Wirtschaftsleistung“ definieren, werden wir bei so genannten Dritte-Welt-Ländern immer zu falschen Ergebnissen kommen.

So ist zum Beispiel in Indien der Selbstversorgeranteil auf dem Land immer noch enorm hoch. Auch im Kleingewerbe ist der Anteil der Schattenwirtschaft nicht zu unterschätzen. Hier werden Werte geschaffen, die außerhalb der so genannten Wirtschaftsleistung stehen. Der am gleichen Tag in der taz veröffentlichte Bericht über Kinderarbeit für Saatgutkonzerne macht doch deutlich, um welche Art von „wirtschaftlicher Entwicklung“ es sich hier auch handeln kann. Arbeitende Kinder erhöhen nämlich die so genannte Wirtschaftsleistung.

Zugegeben, die Mittelschicht Indiens hat sich dank der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren enorm vergrößert. Doch angesichts der sauberen Klassentrennung im Lande berechtigt das noch lange nicht zu der Behauptung, dass es dann auch den Armen besser gehe.

Das angesprochene Beispiel Trinkwasser: Die letzte Hitzewelle hat die alljährlich steigenden Probleme der Trinkwasserversorgung aufgezeigt. Seit Jahren werden überall die Brunnen immer tiefer gebohrt. Denn neue ertragreiche Sorten in der Landwirtschaft benötigen oft zusätzliche künstliche Bewässerung. Das wiederum wirft Probleme durch Versalzung der Böden auf. Riesige Staudammprojekte mögen vielleicht der „wirtschaftlichen Entwicklung“ dienlich sein – ob sie den Menschen wirklich helfen, bleibt fraglich. Indische Industrie vernachlässigt fast durchgehend Arbeits- und Umweltschutz. Nur die großen Tragödien, wie etwa 1984 in Bhopal (16.000 Tote), werden in der internationalen Presse bekannt. […]

RAINER SONNTAG, Essen, zurzeit in Südindien