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Archiv-Artikel

Zypries schießt übers Ziel hinaus

Bei der Neuregelung des Großen Lauschangriffs nutzt die Justizministerin das bürgerfreundliche Urteil des Verfassungsgerichts für eine unnötige Verschärfung. Nur noch Geistliche und Strafverteidiger sollen künftig generell vor Wanzen geschützt werden

VON CHRISTIAN RATH

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat ohne Not einen Koalitionskonflikt ausgelöst. Bei der Neuregelung des Großen Lauschangriffs, die der Umsetzung eines eigentlich restriktiven Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom März dient, plant sie auch eine umstrittene Ausweitung. Künftig sollen auch unverdächtige Ärzte, Anwälte, Journalisten und Abgeordnete mit Wanzen abgehört werden können.

Die „akustische Wohnraumüberwachung“ wurde 1998 nach langem Streit auch zur Strafverfolgung zugelassen. Besondere Vertrauensverhältnisse waren allerdings vor der Polizei geschützt. Bei Pfarrern, Anwälten, Ärzten, Journalisten und Abgeordneten durften deshalb keine Wanzen installiert werden. Einzige Ausnahme: Die Honoratioren dürfen überwacht werden, wenn sie selbst als Mittäter oder Helfer einer Straftat verdächtig sind. Die absolute Gewissheit, dass in der Arztpraxis keine Wanze versteckt ist, gab es also nie.

In der Neuregelung will Zypries nun nur noch Geistliche und Strafverteidiger generell vor Wanzen schützen. Die Räume von Ärzten, Rechtsanwälten und Abgeordneten sollen dagegen abgehört werden können, „wenn im Einzelfall unabweisbare Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung unter besonderer Beachtung der Verhältnismäßigkeit“ dies erfordern.

Die Empörung über diese Aufweichung des Schutzes von Berufsgeheimnisträgern war groß. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer kritisierte, das sei der „falsche Weg“ im Kampf gegen den Terrorismus. Der SPD-Rechtspolitiker Hermann Bachmaier erklärte: „So geht das nicht, so wird das nicht bleiben.“

Exbundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) drohte mit einem neuen Gang nach Karlsruhe. Er hatte – gemeinsam mit den Parteifreunden Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Burkhard Hirsch – im März das Urteil des Verfassungsgerichts erstritten, das Einschränkungen des Lauschangriffs erzwang. Gespräche in Privatwohnungen müssen nun in der Regel live mitgehört werden, um die Wanze schnell abschalten zu können, wenn die Unterhaltung mit nahe stehenden Personen keinen Bezug zu Straftaten aufweist.

Allerdings hat Karlsruhe in diesem Urteil auch definiert, dass neben solchen Privatgesprächen nur die Kommunikation mit Geistlichen und Strafverteidigern zum „unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung“ gehört. Für Arztgespräche gelte dies lediglich „im Einzelfall“, bei Gesprächen mit Journalisten und Abgeordneten gar nicht.

Verfassungsklagen gegen Zypries’ Vorhaben dürften deshalb keinen Erfolg haben, schließlich hat die Ministerin nur Überlegungen der Verfassungsrichter aufgegriffen. Dazu verpflichtet war sie nicht, denn es handelte sich um Randbemerkungen.

Falls die Neuregelung überhaupt kommt, wird sie ohnehin keine große Relevanz haben. Lauschangriffe sind teuer und aufwändig und kommen im Polizeialltag sehr viel seltener vor als etwa das Abhören von Telefonen.