Rentner der Tafelrunde

Das Kabinett wurde schon zur Vereidigung als Seniorenklub verspottet. Jetzt wirken selbst die Aktivposten ausgelaugt

Es rächt sich, dass Schröder vor zwei Jahren auf junge, frische, womöglich gar parteilose Denkersouverän verzichtet hat

VON LUKAS WALLRAFF

In der Politik ist es wie in der Liebe. Es gibt Momente, die sind so schön, so wunderschön, dass man später immer wieder versucht, sie zu wiederholen. Wenn der Kanzler und seine Regierung heute zu ihrer Sommerklausur ins Schloss Neuhardenberg zurückkehren, wirken sie wie ein melancholisches Ehepaar, das zum Jahrestag ins selbe schnuckelige Restaurant geht, in dem es sich zum ersten Mal geküsst hat. Alles in der Hoffnung, dass so auch der alte Zauber wiederkehrt. Für Schröder und die Regierung heißt das: dass es wieder so schöne Bilder gibt wie vor einem Jahr. Lauter kurzärmlige Minister, die bei sonnigem Wetter an reich gedeckten Tischen unter hohen Bäumen sitzen und Wonniges für die Wähler planen. Die Steuersenkung war eine kitschige, aber gute Show. Diesmal wäre es ein Wunder, wenn es positive Schlagzeilen gibt. Die Kassen sind leer, die Köpfe auch.

Bisher hat kein Rot-Grüner Ideen vorgetragen, wie die Regierung aus ihrer Krise finden könnte. „Alternativlos“ sei seine Politik, sagt Gerhard Schröder. Das gilt auch für sein Kabinett. Weitermachen und zusammenhalten, lautet die Devise. Wo zwischen 1998 und 2002 noch munter durchgewechselt wurde, die Lafontaines und Scharpings gingen, die Strucks und Eichels kamen, lässt Schröder seit der letzten Wahl konstant alles bei den Alten. Selbst den mautlosen Verkehrsminister und lautlosen Ostminister Manfred Stolpe hält er noch im Amt. Vielleicht aus Loyalität. Vielleicht, weil er sich eine Kabinettsumbildung für den worst case aufspart – wenn auch noch die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 wie erwartet in die Hose geht. Dann aber dürfte es zu spät sein.

Es rächt sich, dass Schröder vor zwei Jahren auf junge, frische, womöglich gar parteilose Denker souverän verzichtet hat. Das Kabinett wurde schon bei der Vereidigung als Seniorenklub verspottet. Inzwischen erscheinen auch die wenigen Aktivposten aus der Anfangszeit wie „Superminister“ Wolfgang Clement ausgelaugt. Dass sich diese Regierung „Innovation“ auf die Fahnen schreibt, wirkt wie ein Witz. Wer sich etwas traut, wer über die Agenda und das nächste Etatlochstopfen mal hinausdenkt, wie Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit ihrem Pflegereformkonzept, wird vom Kanzler ausgebremst. Zu riskant! Strittige Debatten wie über die Abschaffung der Wehrpflicht lässt er laufen, bis alle ihre Meinung zum Besten gegeben haben – und der zuständige Ressortchef düpiert ist.

So ist niemand mehr in Sicht, der Schröder gefährlich werden könnte. Das Rivalen-Wegräumen hat wunderbar geklappt. Auch außerhalb des Kabinetts. Im Abwärtssog der Regierung ging „Kronprinz“ Sigmar Gabriel in Niedersachsen unter – auch, weil ihn der Kanzler mit seiner Vermögensteuer-Forderung alleine ließ. Die Chance, Gabriel als SPD-Generalsekretär neu aufzubauen, ließen Schröder und der neue Parteichef Franz Müntefering mutlos verstreichen. Stattdessen kam Klaus Benneter. Klaus wer? So dünn die Personaldecke der SPD auch sein mag: Die Besetzung dieses Postens zeigt, wie es gelingt, aus wenig nichts zu machen. Der alte Generalsekretär Olaf Scholz produzierte negative Schlagzeilen, der neue: Keine.

Wirklich verheerend für die SPD ist jedoch, dass sie es in zentralen Politikbereichen nicht mehr schafft, die eigene Identität und Kompetenz durch Sympathieträger oder wenigstens Respektspersonen zu verkörpern. Das gelingt nur noch in Bereichen, die von der Reformagenda unberührt sind. Innenminister Otto Schily kann machen und vor allem sagen, was er will, weil er für etwas Populäres steht: für „Sicherheit“. Entwicklungshelferin Heidemarie Wieczorek-Zeul darf weiter die Welt retten, so gut sie kann, solange es nicht viel kostet.

Aber sonst? Wer steht für den „Aufbau Ost“? Stolpe? Hat mit der Maut genug zu tun. Hans Eichel stand einmal für „Sparen“. Früher. Ulla Schmidt und Clement werden praktisch nur noch mit „Sozialabbau“ identifiziert, was bei dem einen mehr, bei der anderen weniger berechtigt ist. So büßt Schmidt für die Praxisgebühr, obwohl die gar nicht von ihr erfunden wurde. Kommunikationstalent? Na ja. Das regierende Personal hat es geschafft, dass die Wähler „SPD“ nicht mehr mit „sozialer Gerechtigkeit“ verbinden. Das ist neu. Bleibt es dabei, ist es mit der SPD als Volkspartei vorbei. Die CDU unter Helmut Kohl hat sechzehn Jahre lang Norbert Blüm erduldet. Sie wusste schon warum. Die SPD aber hat als soziales Gewissen: Niemand.

Es ist kein Zufall, dass die Grünen weniger Profil- und Personalprobleme haben. Es hat sich für sie gelohnt, dass sie die schwierigen Reformressorts dem großen Koalitionspartner überlassen haben. So agieren die drei grünen Minister jenseits der sozialen Verteilungskämpfe. Joschka Fischer schwebt längst über dem Parteiengezänk und vertritt „die Deutschen“. Renate Künast kämpft für „die Verbraucher“, also auch fast alle. Nur Jürgen Trittin eckt bisweilen an, was aber auch nichts schadet, denn als heldenhafter Robin Wood der Regierung gefällt er der eigenen Basis.

Trittin zeigt, wie man aus wenig viel macht. Selbst den klitzekleinsten Fortschritt feiert er als Erfolg in eigener Sache, wie die Abschaltung des Uralt-AKWs in Stade oder die vor allem symbolisch bedeutsame Erneuerbare-Energien-Konferenz in Bonn. Seine Konflikte mit der Wirtschaft und der SPD zelebriert Trittin so eindrucksvoll, dass er am Ende auch dann gewinnt, wenn er verliert. Das Ergebnis: Die Grünen stehen weiter unangefochten „für die Umwelt“ und in den Umfragen besser da denn je. Der Regierung hilft das wenig, so lange die SPD verliert.

Der Kanzler erweckt nicht den Eindruck, als suche er intensiv nach besseren Mitstreitern. Manches, was er sagt, klingt eher so, als habe er sich mit der Rolle des ungerechterweise Unverstandenen abgefunden. Als suche er bereits nach einem passablen Abgang und einem Platz in der Geschichte. Wie wär’s mit „Gorbatschow der SPD“, fragte ihn der Spiegel, und Schröder fühlte sich geehrt. Aufbruch? Es riecht nach Abschied, wenn sich das Kabinett zum Neuhardenberg-Revival trifft. Daran ändert auch Gesine Schwan als Stargast wenig. Im Gegenteil. Wie schnell die eloquente Professorin zu der neuen Hoffnungsträgerin der SPD aufstieg, verdeutlicht noch mehr, wie groß der Bedarf an neuen Leuten wäre. Aber Gerhard Gorbatschow wartet ab und hofft auf schöne Bilder.