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Archiv-Artikel

Edelmetalle für fast alle

Die Chorolympiade hat begonnen, an jeder Ecke wird gesungen. Auch an Medaillen (7.500) herrscht kein Mangel – für einen stimmlichen Gesamteinsatz von 10.000 Minuten Netto-Singzeit

Bremen taz ■ Großereignisse müssen präzise arrangiert werden. Folglich beginnt die Chorolympiade überpünktlich um 19.59 Uhr mit einem gewaltigen Blechbläsereinsatz. Aber vielleicht war die Rottenburger Stadtkapelle doch zu exakt? Jedenfalls geschieht nach ihrem Einsatz erstmal eine Weile gar nichts, zumindest nichts Offizielles. Die versammelten Chöre in der Messehalle 5 vergnügen sich dafür mit „La Hola“-Wellen.

Dann aber läuft alles nach Plan. Aufstehen zur Nationalhymne, Einmarsch der Ehrengäste, was eben so dazugehört. Auch Chöre singen. Ob die indonesischen „Elfas Singers“ oder die Cari-Folk-Singers aus Jamaica – es sind allesamt Exponenten einer farbenfrohen, gut choreografierten Bühnenshow. Nach dem niederländischen Jazz-Chor „Be sharp“ kommt noch Scherf, der den Massen seinen geliebten „Dona nobis pacem“-Kanon nahe bringt.

Von den drei Millionen Chören, die es weltweit geben soll, sind immerhin gut 0,01 Prozent bis zum 18. Juli in Bremen. „Wundersam wird hier Gemeinschaft zwischen den Menschen geschaffen“, sagt Chorolympiade-Präsident Günter Titsch bei seiner Eröffnungsrede. In der Tat sind der Chorolympiade in Bremen – es ist die dritte überhaupt – erstmals auch katholische Weihen zuteil geworden. Kein Geringerer als Kurienardinal Paul Poupard, der Vatikanische Kulturbeauftragte, hat sich von Rom nach Bremen begeben. „Auch den Papst haben wir eingeladen“, sagt Titsch, der aber habe abgesagt.

Die Auftritte der 364 Chöre werden sich zu etwa 10.000 Minuten reiner Singzeit summieren, hat man im Olympiade-Büro ausgerechnet. In 23 Kategorien treten sie an, um sich in „Folklore a capella“ oder auch „Junge Männerchöre“ zu messen. 7.500 Medaillen – Bronze, Silber, Gold – wurden angefertigt und harren jetzt ihrer Abnehmer. Die nüchterne Zahl widerlegt das bissige Bonmot des langjährigen Geschäftsführers der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände, Rolf Pasdzierny, wonach es bei den zahlreichen Wettbewerben von „Musica Mundi“ – zu denen auch die Chorolympiade gehört – mehr Medaillen als Teilnehmer gebe. Bei 15.000 bis 18.000 erwarteten SängerInnen kann sich aber immerhin jeder Zweite oder Dritte eine reelle Chance ausrechnen.

Zunächst aber gab es die große Eröffnungsparade zwischen Marktplatz und Bürgerweide. Nach Polizeiangaben mit 5.000 TeilnehmerInnen, der „Weserkurier“ – der noch vor Jahresfrist sehr kritisch über die Olympiade berichtet hatte, jetzt aber per Medienpartnerschaft auf eine wohlwollende Berichterstattung konditioniert ist – zählte gar 7.000. In jedem Fall waren 166 Schwaneweder Panzergrenadiere dabei: Unter dem Kommando von Oberleutnant Haikapell waren sie dafür zuständig, die Fahnen und Länderschilder zu tragen, die anschließend auch bei der Eröffnungszeremonie präsentiert wurden. „Das hätten wir mit den Chören nicht so gut hinkriegen können“, erklärt Präsident Titsch.

Die sind ja auch ein buntes Völkchen. Da gibt es würdige ältere Herren wie den Träger der über hundert Jahre alten Fahne der Chorgemeinschaft Borgfeld. Dicht gefolgt von eher exotischen Teilnehmern wie den Bahai-Singers. Dann die „Hagenaher Sportsänger“ aus der Nähe von Stade. Obwohl sie nur zwei Stippvisiten bei der Olympiade machen, kostet sie das 1.200 Euro Anmeldegebühren. Bei der Ebersbacher Jugendkantorei „Voices of Heaven“ sind es wegen der Hotelkosten schon 9.000 Euro. Aber sie sind dabei. Präsident Günter Titsch hatte bei der Eröffnung ja auch versprochen: „Wir werden die Jugend der Welt von der Straße holen.“

Henning Bleyl