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Archiv-Artikel

„Nicht gefährlich, aber bissig“

Organisierte Antirassisten haben ihr jährliches Grenzcamp vom Osten nach Köln verlegt

KÖLN taz ■ An die Zeltstadt des 6. Antirassistischen Grenzcamps am Kölner Rheinufer – mitsamt Bar, Erste-Hilfe-Zelt und Gartenschlauchduschen – haben sich die Anwohner mittlerweile gewöhnt. Nur die Jogger, die auf ihrer Rennstrecke am Uferweg durch ein Doppelspalier von Polizeibeamten laufen mussten, waren irritiert. „Wir sind nicht gefährlich, aber bissig“, schallte es ihnen aus einem Lautsprecherwagen inmitten einer 200-köpfigen Menschenmenge am Ende des Polizeiaufgebots entgegen.

„Demonstrieren, provozieren und irritieren“ wollen die Organisatoren noch bis zum Sonntag in Köln, unter dem Motto „out of control“. Um gegen rassistische Ausgrenzung und die Abschottungspolitik der EU zu demonstrieren, müsse man nicht wie in den Vorjahren in die Grenzregionen Deutschlands fahren, fügt Mitorganisatorin Uschi Volz hinzu. Im Visier der Antirassisten stehen „Abschiebeprofiteure“ wie die Chartergesellschaft LTU in Düsseldorf und das Bonner Büro der International Organisation for Migration (IOM).

Der IOM werfen antirassistische Gruppen vor, als „Helfershelfer“ staatlicher Behörden in Westeuropa, Nordamerika und Australien „gefängnisartige Flüchtlingslager“ zu betreiben und durch unlautere Methoden so genannte „Rückführungen“ zu forcieren. „Fantasievolle Aktionen“ soll es auch gegen die alltäglichen Polizeikontrollen von Menschen „erkennbar nichtdeutscher Herkunft“ geben.

Doch vor Beginn der Aktionswoche stand die Theorie: In einem zweitägigen Forum an der Fachhochschule Deutz wurde „Antirassismus ausbuchstabiert“: Im Mittelpunkt stand der Paradigmenwechsel antirassistischer Diskurse: Flüchtlinge nicht länger als bloße Opfer zu sehen, sondern sie „als selbstbewusst um ihr Überleben und ihre Vorstellungen von Sicherheit und eigenem Schicksal kämpfende Individuen“ wahrzunehmen, so eine Diskutantin. Dazu kamen erste Annäherungsversuche zwischen den rund 600 Campteilnehmern und Einheimischen im Stadtteil Poll – einem Brennpunkt harter Auseinandersetzungen: Gegen zwei Flüchtlingsschiffe am Rhein, auf denen die Stadt Köln hunderte Asylsuchende eingepfercht hat, und gegen ein Flüchtlingsheim, in dem überwiegend Roma-Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien leben, laufen organisierte Neonazis und Anwohnerinitiativen gleichermaßen Sturm.

Entsprechend lautstark ging es zu beim „antirassistischen Stadtteilspaziergang“, als Vertreter der Bürgerinitiative gegen das Roma-Flüchtlingsheim – „wir wollen keine kriminellen Ausländer“ – eine Diskussion mit den Antirassisten – „wir wollen keine rassistischen Stereotypen“ – führten. Im Flüchtlingsheim dagegen gab es Kaffee und Tee für die Besucher. Duran S. (Name geändert) zeigt seine Duldung: Bis September gilt sie, alle drei Monate muss der 41-jährige Rom zur Ausländerbehörde und um eine neue Duldung betteln.

Am Ende des Gesprächs ziehen die Antirassisten weiter zu den Flüchtlingsschiffen, vor denen sich 15 Neonazis von „Pro Köln“ zum Protest „gegen das Chaotenlager“ aufgebaut haben. Doch die rechte Botschaft verpufft einfach hinter der Menge der Gegendemonstranten, und die Camper zeigen sich zufrieden: „Wir werden in dieser Woche den Widerspruch zwischen den weltoffenen Image von Köln und dem rassistischen Alltag deutlich machen.“ HEIKE KLEFFNER