Am deutschen Vereinswesen soll China genesen

Beim deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog erklären SPD-Abgeordnete den KP-Kadern, wie Zivilgesellschaft funktioniert: Mit nur sieben Chinesen kann man einen „Verein zur Förderung des Vereinswesens“ gründen

China staunt: Berlin hat kein Ministerium für Nichtregierungsorganisationen

BERLIN taz ■ Reden chinesischer KP-Kader gegenüber westlichen Ausländern enthalten meist bekannte Textbausteine, parteichinesische Weisheiten wie „Wir sind ein Entwicklungsland“, „China hat ein Jahrhundert der Unterdrückung hinter sich“, „5.000 Jahre chinesische Kultur“, „Wahrheit in den Fakten suchen“, „Respekt“, und „Jeder muss seinen eigenen Weg gehen“.

All diese Sätze fallen auch beim sechsten deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog, den die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung diese Woche in Berlin mit zwei KP-nahen Organisationen aus China führte. Doch einige deutsche Teilnehmer des Dialogs, der parallel zum 1999 vereinbarten Rechtsstaatsdialog auf Regierungsebene läuft, sehen hinter den Phrasen Veränderungen. „Wenn wir vor zehn Jahren die Todesstrafe angesprochen haben, blockten die Chinesen und sprachen von Einmischung in innere Angelegenheiten. Heute sagen sie, sie sähen das Problem, brauchten aber noch Zeit“, meint der SPD-Abgeordnete Michael Bürsch.

Er leitet den Bundestagsunterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ und berichtet den Chinesen, dass in Deutschland jede dritte Person über 14 Jahre in Vereinen, Stiftungen oder Gruppen ehrenamtlich arbeite. Bürsch und andere SPD-Politiker bieten das deutsche Vereinsrecht als Modell an, um gesellschaftliches Engagement zu stärken. Auch die Chinesen berichten von landesweit 260.000 „bürgerschaftlichen Gruppierungen“, von denen 2003 allein 20.000 gegründet worden seien. Noch vor kurzer Zeit sei das Wort Bürgergesellschaft tabu gewesen. Gesprochen wurde von Volksmassen. Der frühere Vizeminister Liu Jingqin aus der internationalen Abteilung des KP-Zentralkomitees: „Wir haben uns entwickelt von der Devise ‚Dem Volk ein Herrscher sein‘ zu ‚Das Volk selbst ist der Herrscher‘ “. Darunter versteht Liu, dass die öffentliche Meinung stärker die Verwaltung beaufsichtigen solle, meint aber keine allgemeinen Wahlen.

Chinas Wirtschaftsreformen hätten eine gesellschaftliche Dynamik ausgelöst, die Partei und Staat nicht völlig kontrollieren könnten, während bisherige soziale Sicherungssysteme wie die Arbeitseinheiten ihre Funktionen verlören, erklärt Thomas Heberer, Professor am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg. Hier seien Chancen für Bürgerorganisationen. „Dieser Bereich wächst sehr schnell“, sagt Jiu. „Doch wie behalten wir die Kontrolle?“

Die Chinesen sind erstaunt, dass es in Deutschland kein Ministerium für Nichtregierungsorganisationen gibt. In China gibt es für diese Organisationen, die dort streng genommen keine echten Nichtregierungsorganisationen sind, je eine Anmelde- und Überwachungsbehörde unter dem Ministerium für zivile Angelegenheiten. Die Stuttgarter SPD-Abgeordnete Ute Kumpf erklärt den Chinesen, ihre neunköpfige Delegation erfülle die deutsche Mindestzahl von sieben und hätte damit bei Vorlage einer Satzung einen Rechtsanspruch, hier etwa einen „Verein zur Förderung des Vereinswesens in China“ zu gründen.

Heberer warnt davor, von Bürgerorganisationen in China zu viel zu erwarten. Für die Bevölkerung sei gegenwärtig soziale Sicherheit und nicht Partizipation Priorität. Die Organisationen könnten zur Transparenz beitragen, aber die einst von Massenkampagnen strapazierten Menschen seien vorerst kaum bereit, sich freiwillig zu engagieren.

Dem widerspricht der Unternehmer Lin Shiqiao. Ihn haben die Chinesen offenbar mitgebracht, um ihren Wandel zu verdeutlichen, und sie erteilen ihm gern das Wort, wenn es heiklen Fragen auszuweichen gilt. Lin erzählt dann Anekdoten, wie er Geld spendete, um zu helfen. So wie Unternehmer jetzt KP-Mitglieder sein können und Privateigentum per Verfassung geschützt ist, sei inzwischen auch der Schutz und Respekt der Menschenrechte in der Verfassung verankert. Dass schon früher politische und bürgerliche Rechte von der Verfassung versprochen wurden, wird nicht erwähnt.

„Der Prozess der Verrechtlichung in China ist positiv,“ sagt Heberer. Doch solche Veranstaltungen als Menschenrechtsdialog zu bezeichnen sei übertrieben. „Auch dürfte die Streuung der Erkenntnisse in China sehr gering sein. Träger des Wandels dort sind nicht parteinahe Organisationen, sondern Intellektuelle, die im Ausland gelebt haben. Statt mit Funktionären sollte der Dialog lieber mit Betroffenen an der Basis geführt werden“, so Heberer, der in China Forschung betreibt. Verena Harpe von amnesty international ist ebenfalls skeptisch. „Treffen sind positiv“, sagt sie und vermisst zugleich auf deutscher Seite eine deutlichere Zielsetzung. Auch drohe die Gefahr, mit dem Verweis auf den Dialog andere Menschenrechtsaktivitäten zu unterlassen.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Exjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die den offiziellen Rechtsstaatsdialog und den Menschenrechtsdialog der Ebert-Stiftung mit initiierte, sieht deren Wert darin, Anregungen zu geben. „Das ist zu vergleichen mit einem gezielt aufs Wasser geworfenen Stein, der wellenartig Kreise zieht“, sagt sie. „Sie müssen versuchen, den Stein hüpfen zu lassen und an verschiedenen Stellen Wellen auszulösen.“

Auf die Frage, was die Deutschen beim Dialog von China lernen können, muss Delegationsleiter Liu lachen. Dann schweigt er eine Weile, bemüht den Textbaustein von Chinas Jahrtausende alter Kultur und sagt: „Der Dialog spielt eine wichtige Rolle bei der Festigung der Freundschaft zwischen Deutschland und China.“ Die Atmosphäre werde immer offener: „Es gibt keine Konflikte.“ SVEN HANSEN