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Archiv-Artikel

Mein Name ist Mister Condom

In Bangkok eröffnet er einen Gemüsestand und nennt ihn „Cabbages and Condoms“Mechai warnt bis heute: „Kein Land kann es sich leisten, sich bequem zurückzulehnen!“

AUS BANGKOK NICOLA GLASS

Sein Leben ist ein Kondom. Ginge es nach ihm, wäre der 4. Juli ein „Kondom-Unabhängigkeitstag“. Oder es gäbe einen australischen „Kondom-Kängurutag“. So etwas in der Art. Ganz ernst meint er das, auch wenn er dabei lacht. Ungewöhnlich waren seine Ideen immer schon, neu, erfrischend und humorvoll. Für die einfachen Leute zu verstehen. Das hat Mechai Viravaidya populär gemacht. Nicht nur in Thailand, sondern auch international. Seine zupackende Art hat wesentlich dazu beigetragen, die Seuche Aids in Thailand wirkungsvoll zu bekämpfen. Mechai ist Senator, Geschäftsmann, Aktivist, Gründer einer Hilfsorganisation. Die Zeitungen haben ihm vor dreißig Jahren einen Namen gegeben, und den trägt er bis heute: „Mister Condom“. Breites Lächeln. „Die Leute sind glücklich damit, also finde ich das auch völlig in Ordnung.“

Mechai ist heute 63 Jahre alt. Mit langsam ergrauendem Haarkranz, aber von Müdigkeit keine Spur. Die Augen funkeln unter den buschigen, schwarzen Brauen, wenn er spricht. Seine Gestik ist lebhaft, ausladend, überzeugend. Die Überzeugungskraft braucht er auch. Mitunter hat er schwer darum kämpfen müssen, seine Ideen durchzubringen. Auch in diesen Tagen wieder. In Bangkok beginnt am Sonntag die Welt-Aids-Konferenz, und sein Büro summt vor Geschäftigkeit. Als Botschafter für UNAIDS, das HIV/Aids-Programm der Vereinten Nationen, ist Mechai einer der Vorsitzenden der internationalen Konferenz. Neben ihm, auf einem niedrigen Tisch, steht ein künstliches Blumenarrangement. Dunkelgrüne Blätter und bunte Blüten: Kondome, was sonst.

Der Sohn einer schottischen Mutter und eines thailändischen Vaters ist in Australien aufgewachsen. Mit einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften kam Mechai Mitte der Sechzigerjahre nach Thailand. Seine Mutter hat ihn dazu angehalten, seinen Grips zu benutzen: „Du hast eine Erziehung bekommen, nicht unbedingt, weil du so schlau bist“, soll sie gesagt haben, „sondern weil wir Geld haben.“ Das hallt immer noch in ihm nach: Wenn Leute wie er also nur für den Profit arbeiten, wer soll sich dann um die Armen kümmern?

Seinen ersten Job trat er bei der Regierung an, in der Abteilung für nationale Geburtenkontrolle. Er fuhr raus aufs Land, sah Armut, Elend und Ausbeutung. In jedem Dorf, das er besuchte, starben Kinder. Ihm war klar, dass die Probleme nur mit Hilfe einer geregelten Geburtenkontrolle zu lösen sind. Aber viele Dörfler waren misstrauisch. Wollten sich von einem aus Bangkok nichts sagen lassen. Zunächst. Mechai musste sich etwas einfallen lassen.

In Erinnerung an das, was er alles unternommen hat, schmunzelt er und legt gleichzeitig die Stirn in Falten: Die Kondome hat er zu Luftballons aufgeblasen, um den Menschen zu zeigen, was so ein Gummiding aushält. Hat Aufblaswettbewerbe veranstaltet. Hat Reisbauern besucht und deren Wasserbüffel schmücken lassen – mit Parolen zur Familienplanung. Nächtelang wanderte er durch Bangkoks Rotlichtviertel, teilte Präservative an Prostituierte und ihre Freier aus. Und warb öffentlich für Aufklärung und mehr Ressourcen. Aber Geld dafür bekam er irgendwann keines mehr. Also quittiert er 1973 den Job und versucht es auf seine Weise.

Er gründet die „Population and Community Development Association“, kurz PDA, eine Organisation zur Bevölkerungsentwicklung. Leistet weiter Überzeugungsarbeit. In Thailands Machogesellschaft mögen viele an das Thema Verhütung und Geburtenkontrolle nicht einmal denken, geschweige darüber mit einem Arzt sprechen. Der Halbthailänder Mechai weiß aber, wie er seine Landsleute kriegen kann: Über sanuk, also Essen, Genießen, Spaß haben. Ganz klein fängt er an: In Bangkok eröffnet er einen Gemüsestand, verkauft auch Kondome und tauft den kleinen Laden „Cabbages and Condoms“ (Kohl und Kondome). Später macht er daraus eine erfolgreiche Restaurantkette. Die Gewinne fließen in seine Stiftung. Inzwischen ist sein Name so sehr damit verbunden, dass die Menschen nach einem „mechai“ fragen, wenn sie Kondome kaufen gehen. Dass sein Engagement einen so fruchtbaren Boden findet, liegt auch an der kulturellen Tradition des buddhistischen Thailand: Der Klerus geht mit dem Thema Verhütung toleranter um als mancher katholisch oder muslimisch geprägte Nachbarstaat in Südostasien. Die Geburtenrate ist seitdem rapide gesunken, von sieben Kindern pro Familie auf weniger als zwei im Durchschnitt.

Doch plötzlich sah sich Mechai mit einer ganz neuen Situation konfrontiert: der Seuche Aids. In Thailand wird der erste Fall 1984 bekannt. Ein neuer Kampf beginnt. Wenn er sich daran erinnert, wird sein Gesicht ganz ernst: „Es waren die dunklen Tage der Leugnung und Verdrängung“, sagt er rückblickend über die Zeit bis Anfang der 90er Jahre. Die damalige Regierung habe heftig abgestritten, ein Aidsproblem zu haben. Das schreckte ihn auf. „Wir werden nur einmal geboren; ich bin nicht sicher, dass wir ein nächstes Leben haben und wir sollten etwas für die tun, die in der Gesellschaft ganz hinten stehen.“

Zunächst warnt er vergeblich: Wenn er davon spricht, dass Thailand bald bis zu vier Millionen HIV-Infizierte haben würde, winken die politisch Verantwortlichen ab. Aber Mechai lässt nicht locker. Als 1991 wieder einmal das Militär putscht, wird Anand Panyarachun Interims-Ministerpräsident. Nachdem Mechai ihm in drastischen Worten schilderte, wie sehr sich die Seuche Aids in Thailand und den Grenzgebieten auszuweiten droht, holt Panyarachun ihn ins Kabinett, als Minister für Tourismus, Information und Aids-Fragen. Eine bis dato einzigartige Kampagne rollt an, noch viel populärer als die früheren Aktionen zur Familienplanung.

Mechai, damals 50 Jahre alt, beginnt das Klinkenputzen: „Ich bin zum Oberkommandierenden der Armee gegangen“, sagt er und gerät immer rascher ins Erzählen, der Enthusiasmus von damals ergreift ihn wieder. „Ich sagte zu ihm, Thailand werde durch Aids mehr Soldaten verlieren als bisher in der ganzen thailändischen Geschichte.“ Die politisch mächtige Armee, unberechenbar, zuweilen brutal, horcht auf. Die Militärs stellen ihm ihre eigenen Radiostationen und Sendezeit im Fernsehen zur Verfügung. „Das war sozusagen der Durchbruch“, erinnert sich Mechai heute. „Wir baten Produzenten und Filmemacher, Aids-relevante Szenen in ihre Stücke einzubauen, baten die Schauspieler, uns in Kampagnen zu helfen, die Medien wurden geschult, sogar Grundschüler sind in die Dörfer gegangen, um Broschüren zu verteilen, das ganze Land war daran beteiligt.“ Die Erinnerung belebt ihn sichtlich: Im Kampf gegen Aids seien die Jahre zwischen 1991 und 2001 die „Zeit der Erleuchtung und der Aktionen“ gewesen. Thailand produziert als eines der wenigen Schwellenländer Generika, preisgünstige Kopien westlicher Markenprodukte. Und Aktivisten kämpfen Jahr um Jahr darum, immer mehr Menschen eine Behandlung zu ermöglichen. Dann ebbt das öffentliche Engagement ab, die Euphorie verfliegt. Man scheint gesättigt von den bisherigen Erfolgen.

Nicht so Mechai. Er wird nicht müde, weiter zu warnen: „Kein Land kann es sich leisten, sich bequem zurückzulehnen und nichts zu tun!“, ruft er vor wenigen Wochen laut in einen Saal voller Journalisten, Wissenschaftler und Aids-Aktivisten. Längst hat er sich auch an Thailands populistischen Premier Thaksin Shinawatra gewandt. Hofft darauf, dass es der Regierung ernst ist mit dem Kampf gegen Aids. Mechai will die Leute wieder aufrütteln. Vor allem jetzt, wo alle Welt auf Bangkok und die Internationale Aidskonferenz schaut.