off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Als „The Core – Der innere Kern“ ins Kino kam, mochte kaum jemand diesen Film, der bei allen zweifellos vorhandenen dramaturgischen Löchern doch eigentlich recht hübsch an die Katastrophen- und Forschungsreisenfilme der 50er- und 60er-Jahre anknüpft. Bei ihrer Erkundung des Erdinneren, das leider aufgehört hat zu rotieren und wieder in Schwung gebracht werden muss, stoßen heldenhafte Forscher nämlich plötzlich auf das Nichts, das ganz anders aussieht, als es sich die Existenzialphilosophen bislang vorgestellt haben: Erstens kann man mit einer laserbewehrten Rakete ein Loch ins Nichts schießen, und zweitens wachsen dort riesige Kristalle, an denen sich das Vehikel auch noch ganz blöd verhakt. Da müssen die Helden natürlich aussteigen – und landen mitten in den Sixties: Schönere Pappkulissen hatten „Barbarella“ oder „Die phantastische Reise“ seinerzeit auch nicht zu bieten. Überhaupt geht es bei „The Core – Der innere Kern“ ziemlich psychedelisch zu: Oft guckt man durch die Scheiben der Rakete auf das sich auflösende Erdinnere – was in etwa so aussieht wie ein Krankheitserreger unter dem Mikroskop. Das alles ist eigentlich ziemlich lustig und von Regisseur Jon Amiel gerade ernsthaft genug inszeniert, um nicht zur Parodie zu geraten. Aaron Eckhardt und Hilary Swank mimen die straighten Helden, Stanley Tucci brilliert als schnöseliger Wissenschaftler, und das Kolosseum stürzt auch ein.
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Mit „Gimme Shelter“ dokumentierten die Gebrüder Albert und David Maysles eine US-Tournee der Rolling Stones mit dem traurigen Höhepunkt in Altamont nahe San Francisco, wo die als Ordnungskräfte engagierten Hell’s Angels direkt vor der Bühne – und vor laufender Kamera – einen jungen Schwarzen erstachen. „Gimme Shelter“ ist kein reiner Konzertfilm: Die Maysles verfolgen mit ihren mobilen Aufnahmegeräten auch Sitzungen von Rechtsanwälten, die das eintrittsfreie Konzert organisieren, filmen das völlige Chaos rund um den Auftritt und konfrontieren die hilflos wirkenden Rolling Stones im Schneideraum mit dem Material vom Mord. Zudem macht der Film deutlich, dass Altamont kein unglücklicher Zufall war, der das ansonsten ach so friedselige Zeitalter von Love & Peace beendete, sondern dass es angesichts tausender drogenzerfressener und hysterischer Freaks irgendwann zur Katastrophe kommen musste. Ein durchaus faszinierendes Dokument einer der trübseligsten Epochen in der Geschichte der Rockmusik.
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Die Austauschbarkeit von Verbrechern und Polizisten war eines der wiederkehrenden Motive in den irrealen Gangsterfilmen Jean-Pierre Melvilles. In „Vier im roten Kreis“ spitzeln Ganoven für die Polizei, Kommissare drohen und erpressen, Gefängniswärter geben Tipps für erfolgreiche Coups, und ein ehemaliger Polizeischarfschütze betätigt sich als Einbrecher. Auch äußerlich sind beide Seiten nicht auseinander zu halten: Borsalino-Hüte und helle Regenmäntel sind Pflicht. „Alle Menschen sind Verbrecher, jeder ist schuldig“, sagt der leicht paranoide Polizeichef zu Beginn – am Ende scheint es, als würde er Recht behalten. „Vier im roten Kreis“ erzählt von einem Kommissar und drei Gangstern, die sich unausweichlich aufeinander zu bewegen – ein Film, so pessimistisch und kalt wie der Winter, in dem sich die Geschichte zuträgt.
LARS PENNING