Wer sich fügt, lügt

Ein Fest im Friedrichshainer RAW-Tempel ehrte den vor 70 Jahren ermordeten Dichter Erich Mühsam

„Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen. Und ob sie mich erschlügen: Sich fügen, heißt lügen“. Diese Zeilen des anarchistischen Poeten Erich Mühsam sollten fast prophetische Bedeutung erhalten. Am 10. Juli 1934 wurde Mühsam von SS-Leuten im Konzentrationslager Oranienburg erschlagen. Die einfachen und eindringlichen Strophen haben bis heute ihre Wirkung vor allem auf anpolitisierte Jugendliche nicht verloren.

„19 Jahre alt war ich, als ich diese Zeilen zum ersten Mal las. Mit frisch rasierten Schläfen schlich ich durch das Provinzkaff, die erste Punkerin 1994“, erinnert sich Manja Präkels. Sieben Jahre später hat Präkels, die mittlerweile als Künstlerin in Berlin lebt, zusammen mit ihrer Band „Der singende Tresen“ das erste Erich-Mühsam-Fest in Spandau organisiert. Im Jahr darauf hat die Veranstaltung schon Festivalcharakter angenommen. Im letzten Jahr stand sie dann im Zeichen des Irakkrieges und rückte dementsprechend den Antimilitaristen Mühsam in den Vordergrund. In diesem Jahr haben die InitiatorInnen zum 70. Todestag Mühsams den RAW-Tempel in Berlin-Friedrichshain für ein ganzes Wochenende gefüllt.

Eine Mischung aus Diskussionsveranstaltungen, Workshops, Theateraufführungen, Lesungen und musikalischen Darbietungen war ganz im Sinne des Anarchisten Mühsam, der sich auch im künstlerischen Bereich auf keine Linien festlegen lassen wollte. Die musikalische Bandbreite reichte dabei von Klezmer bis Hardcore. Auf einer Bühne heizte die schottische Punkband Los Destructos kräftig ein, in einem anderen Gebäude brachte die Leipziger Straßenmusikerin Uta Pilling mit ihren „neuen Gassenhauern“ die Halle zum Kochen.

Ruhiger ging es bei den nachmittäglichen Diskussionsveranstaltungen zu. „Paradigmenwechsel in der Gedenkpolitik – wo stehen wir mit dem NS-Gedenken“ war ein Panel überschrieben, an dem der ehemalige Sachsenhausen-Häftling Karl Stenzel und die Historiker Hans Coppi und Cord Pagenstecher vom Zwangsarbeiter-Dokumentationszentrum Schöneweide teilnahmen. Die Runde war sich weitgehend einig, dass eine Gleichsetzung der politischen Verfolgung in der DDR mit dem Terror des NS-Regimes abzulehnen ist. Antifaschistische Basisinitiativen aus unterschiedlichen Regionen konnten nicht nur ihre Arbeit vorstellen. Sie bekamen auch eine finanzielle Unterstützung. Denn seit dem letzten Jahr wirft das Erich-Mühsam-Fest, das immer auf finanzielle Unterstützung von Behörden oder Parteien verzichtet hat, sogar Gewinn ab. „Das können wir nur erreichen, weil alle Mitwirkenden ohne Gage auftreten“, erklärt der Veranstalter Markus M. Liske. Man habe außerdem verhindert, dass der Anarchist Mühsam von sozialdemokratischen Kulturpolitikern „mit salbungsvollen Festreden entradikalisiert und verbürgerlicht“ wurde. Tatsächlich war am Wochenende kein Berliner Politiker zu sehen. PETER NOWAK